Sonntag, 17. März 2013

Körperhaltungen und Zeit in ihrer Bedeutung für das Gebet



Aus dem Exerzitienbuch des hl. Ignatius von Loyola

Es gilt, zwei Extreme in der Gebetshaltung zu vermeiden: einen Meditationssitz zum Dogma
zu erklären und zu einer Haltungslosigkeit zu zerrinnen. Ignatius bringt im Exerzitienbuch
(EB) Nr. 76 folgenden Hinweis: „In die Betrachtung eintreten, bald kniend, bald auf der Erde
ausgestreckt, bald auf dem Rücken mit dem Gesicht nach oben, bald sitzend, bald stehend,
indem ich stets auf der Suche nach dem bin, was ich will. ... Wenn ich kniend das finde, was
ich will, werde ich nicht weitergehen; und wenn ausgestreckt, ebenso usw.“

Hier gilt ein einziges Kriterium: Die Haltung, die mir mehr zum Gebet hilft, die soll ich einnehmen. Man
muss sich nur hüten, haltungslos zu werden und die Haltung dauernd zu verändern. Letzteres
kann zum Zeitvertreib werden, wenn zum Beispiel die Betrachtung sehr mühsam verläuft.
Ignatius rät auch, dass man nach dem Zubettgehen, wenn man bereits einschlafen will, noch
kurze Zeit den Betrachtungsstoff des folgenden Tages durchgehen soll (vgl. EB Nr. 73). Dies
hat man heute wiederentdeckt: mit positiven Gedanken einschlafen tut der Psyche gut. Ebenso
wenn man am Morgen nicht alles gleich heranlässt (z.B. die Weltnachrichten), wenn man die
Ruhe der Nacht noch für das Gebet nützt.

In EB Nr. 75 spricht Ignatius von ein oder zwei Schritten vor dem Betrachtungsort. Hier soll
ich mich in die Gegenwart versetzen. Je nach Betrachtungsstoff soll ich den Raum hell oder
dunkel halten. Beim Leiden Jesu nicht an Frohes denken und bei den Osterbetrachtungen
Freude aufkommen lassen.

Gebetshaltungen, die in allen großen Religionen gepflegt werden
Knien, Sitzen, Stehen hat jeweils eine andere Qualität. Spüren wir selbst in uns hinein, wofür
diese oder jene Haltung am ehesten geeignet ist. Knien: Verbindung mit der Erde, Erfahrung
der Kleinheit usw. Sitzen: Zuhören in Entspannung. Stehen: Wachheit, Sammlung. Falten der
Hände: Sammlung, Dasein. Ausbreiten der Hände (Orantenstellung): Erfahrung der Kraft, die
von den Händen ausgeht. Handauflegung: Übertragung von Kraft.
In der Mitte, im „Hara“ da sein: Nicht oben in den Schultern (mich festhalten), nicht formlos
zusammenfallen, sondern die Mitte als Zentrum erfahren (siehe die Ikone „Muttergottes des
Zeichens“).
Das Hinlegen auf die Erde (Prostratio) bei der Priesterweihe und am Karfreitag: darin
überlassen wir uns total der Erde und erfahren das Getragenwerden.

Zeiten für das Gebet
Der Morgen und der Abend haben eine lange Gebetstradition. Zu Beginn des Tages vor Gott
da sein ist etwas anderes als unter Zeitdruck zur Arbeit eilen. Der Abend sollte nicht mit
einem Krimi schließen, bei dem man einschläft, sondern mit der Rückkehr zu Gott, dem man
nochmals den Tag, die schönen und traurigen Ereignisse übergibt. So in den Schlaf gehen, ist
äußerst heilsam.

Eine weitere Möglichkeit entdeckte ich im traditionellen Gebetsläuten (Engel des Herrn) und
am Freitag zur Todesstunde Jesu. Was ging da vor sich? Die Gläubigen unterbrachen ihre
Arbeit und gedachten der Menschwerdung Gottes, das hieß: Jetzt lassen wir unsere Arbeit los.
Jetzt wollen wir vor Gott da sein. Wir werkeln heute oft den ganzen Tag dahin und lassen uns
von der Arbeit völlig in Beschlag nehmen. Wir haben keine Distanz von unseren Aufgaben.
Ein Mitbruder erzählte mir, dass früher die Bauern und Handwerker, bevor sie ihr Tagewerk
begannen, ein vaterunserlang innehielten.

 Beim Tischgebet wurde gemeinsam für die Gaben Gottes gedankt. Dann gab es noch die Zeit des Nachtwachens: Starb ein Nachbar, dann wurde  der Tote zuhause aufgebahrt, und die Nachbarn kamen zum Gebet herbei. Dazu gab es Brot, Salz und Most. Die Haltung beim Gebet, die Zeiten vor Gott im Alltag, in manchen Lebensabschnitten wie Taufe, Hochzeit, Begräbnis, Arbeit und Fest waren Hilfen, dass der
Alltag vom Gottesgedenken durchwirkt und von Gott leichter in allen Dingen gefunden
wurde.

Heinz Urban SJ

Erschienen in: Jesuiten. Mitteilungen der österreichischen Jesuiten 68 (1995) H.4, 14-15.

Leistung und Fruchtbarkeit



Der Herr sendet uns, um Frucht zu bringen, und zwar Frucht, die bleibt. Dazu hat er uns
erwählt und bestimmt (Joh 15,16). Dadurch wird der Vater verherrlicht (Joh 15,8;
Exerzitienbuch 23); so sind wir Jünger Jesu.

Bin ich, was ich leiste?
Fruchtbarkeit spielt in der Schrift eine große Rolle, und Jesus beschreibt das Reich Gottes
immer wieder in Bildern der Fruchtbarkeit. Das Wort Leistung scheint in der Schrift kaum
vorzukommen. Aber vielleicht merken wir das nicht so, weil wir so stark in einer
Leistungsgesellschaft aufgewachsen sind, dass wir alles spontan in Kategorien der Leistung
einordnen. Wir haben ja alle die Parole interiorisiert: "Ich bin, was ich leiste." Alles muss ich
verdienen, auch Anerkennung, Dankbarkeit, Herzlichkeit, Existenzrecht, ja sogar Liebe. In
der Kirche und im Ordensleben ist diese Mentalität ebenfalls sehr stark lebendig. Das haben
wir in unserer Ausbildung gut mitgekriegt: Die viel leisten, das sind die Guten. Wie oft habe
ich betagte Ordensleute sagen hören: "Pater, ich möchte noch gerne ein bisschen dienstbar
sein", und wie oft war das heimlich vermischt mit dem Wunsch: "Ich will noch ein bisschen
mitzählen." Hinter der Klage über die viele Arbeit und die vielen Termine steckt manchmal
auch ein gewisses Aufschneiden – dann merkt der andere wenigstens, wie wichtig ich bin. Für
viele Menschen unserer Zeit ist die Leistung fast der einzige Boden, auf dem sie stehen, ihre
Existenzberechtigung.

Die Bibel spricht eine ganz andere Sprache. Für Gott brauchen wir unser Existenzrecht nicht
zu verdienen. Er schenkt es uns, umsonst. Wir sind seine geliebten Kinder; er hat uns ins
Dasein geliebt. Er liebt uns nicht wegen unserer Leistungen, sondern mit einer
bedingungslosen, unverdienten und unverdienbaren Liebe.
Das schönste Beispiel einer ganz subtilen Leistungshaltung fand ich bei Bernardin
Schellenbergeri (Nacht leuchtet wie der Tag, Herder, 2. Auflage 1982, Seite 12), der berichtet,
wie ein alter Trappistenbruder seinem Abt anvertraut: "Die Welt würde staunen, wenn sie je
erfahren würde, wie viel Holz ich in meinem Leben gespalten habe." Alles im Konjunktiv! Er
hat sich schon damit abgefunden, dass die Welt es nie erfahren wird. Aber doch bleibt ihm der
heimliche Trost, dass sie staunen würde, wenn sie es je erfahren könnte.

Übereinstimmungen und Unterschiede
Es gibt sicher Übereinstimmungen zwischen Leistung und Fruchtbarkeit – beide erfordern
Einsatz, Anstrengung, Sorgfalt ...
Interessanter scheinen mir aber die Unterschiede. Und davon habe ich inzwischen ein
Dutzend gefunden. Die wichtigsten sind:

- Bei der Leistung will der Mensch alle Fäden in der Hand und alles im Griff haben, und
das bringt Stress und Spannung; bei der Fruchtbarkeit bleibt Raum für das Geheimnis, das
wir nicht durchschauen, sondern dem wir uns anvertrauen; das gibt Entspannung und
Zuversicht (vgl. Mk 4, 26-29).

- Fruchtbarkeit geht zusammen mit dem kontemplativen Element in unserem Leben,
während Leistung nicht gut dazu passt. In der Fruchtbarkeit und in der Kontemplation
sucht man nicht seine eigene Ehre und Erfüllung und Bestätigung, sondern man verrichtet
seine Tätigkeit wirklich als Dienst, selbstlos, in Hingabe, zur Ehre Gottes. Hier liegt
wahrscheinlich auch der springende Punkt für das "In-actione" kontemplativ sein, das
tatsächlich mit dem "Omnia ad maiorem Dei gloriam" (Alles zur größeren Ehre Gottes)
zusammenhängt.

- Die Leistung nimmt auf die Dauer ab, wenn man älter wird; die Fruchtbarkeit bleibt und
kann sogar wachsen. Ein großer und wichtiger Trost für unsere (vielen) Betagten! Vgl.
etwa Ps 92, 13-15.

- Fruchtbarkeit geschieht immer in der Weise des Weizenkorns, das in die Erde fällt und
stirbt und nur so Frucht bringen kann (Joh 12,24), in entscheidendem Gegensatz zur
Leistungsmentalität.

- Den Gegensatz zwischen Gesetz und Gnade, der bei Paulus eine so ausgeprägte Rolle
spielt, kann man in unserer Zeit und unserer Sprache übersetzen mit den Worten Leistung
und Fruchtbarkeit. Gesetz ist, was der Mensch selbst zustandebringt. Gesetz ist die
Leistung im geistlichen Leben. Der fruchtbare Mensch demgegenüber lebt aus Gnade und
weiß sehr wohl, dass das Eigentliche ihm geschenkt wird. Nicht die Aktivität rechtfertigt
uns, sondern die Rechtfertigung aktiviert uns.

- Leistung geht oft auf Kosten der Natur (Umwelt, Gesundheit, Familie oder Kommunität,
geistliches Leben). Fruchtbarkeit ist natürlich, entspricht der Natur, ist gesund, zerstört
nicht, sondern entfaltet und krönt. Das Geheimnis der Fruchtbarkeit zeigt sich dort, wo der
Mensch es aufgibt, das Leben zu beherrschen, und das Wagnis eingeht, das Leben sich
entfalten zu lassen.

- Die Fruchtbarkeit im Reich Gottes ist oft nicht messbar und lässt sich manchmal nicht
vorzeigen, während Leistung sehr stark am Messen und Vergleichen orientiert ist. Die
Leistungsgesellschaft ist oft rücksichtslose und ungerecht gegenüber denen, die nicht
genug leisten können. Da wird viel unverdientes Leid zugefügt, in offenkundigem
Gegensatz zum Evangelium.

- Leistung ist oft ein Ausgleich für einen Mangel an Beziehung, während Fruchtbarkeit
immer Beziehung voraussetzt (Pflanzen müssen befruchtet werden, Tiere, Menschen,
geistliches Leben – vgl. Weinstock und Reben). Menschen, die bewusst oder unbewusst
an Einsamkeit oder Isolation leiden, flüchten leicht in Leistung, um auf diese Weise ihrem
Leben doch Inhalt und Sinn zu geben (vgl. Joh 15, 1-8).

- Fruchtbarkeit ist mehr als Effizienz. So lebt in jedem Menschen das Urbedürfnis nach
zweckfreiem Bejahtsein und der tiefe Wunsch, mehr zu sein und zu gelten als das, wozu
er dienlich ist. Wer umgekehrt seinen Selbstwert zu stark aus der Leistung schöpft, kommt
früher oder später in eine schreckliche Krise. Wer von der Leistung lebt, baut auf Sand.

- Jeder Mensch braucht ein gewisses Maß an Anerkennung und Erfolg. Unser himmlischer
Vater weiß, dass wir das brauchen (Mt 6, 32f). Er wird es uns auch besorgen. Wir müssen
es nicht ängstlich suchen! Wir müssen nicht versuchen, uns das selbst zu verdienen. "Euch
muss es zuerst um das Reich Gottes und die Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles
andere dazugegeben." Es tatsächlich von ihm erwarten, auch wenn es einmal eine
Durststrecke gibt, macht evangelische Menschen.

- Die Leistungsmentalität wählt andere Prioritäten und Aktivitäten als der
Fruchtbarkeitsglaube. Welche falschen Akzente setzen wir in unserem Apostolat und
Lebensstil, weil wir zu sehr leistungsorientiert sind?

- Leistung macht einseitig und verdrängt gewisse Werte. Sie baut auf eigene Kraft und
klammert die schwachen Seiten aus. Sie ist leicht zu zielstrebig. Fruchtbarkeit lässt Gottes
Kraft auch in unserer Schwäche zum Zuge kommen und kann darum das Leben ehrlicher
und großzügiger annehmen.
Es gibt Männer und Frauen, die viel leisten, aber wenig Frucht bringen, und umgekehrt.
Für den Aufbau des Reiches Gottes ist es wichtig, sich an Fruchtbarkeit – als Inhalt und
Methode – zu orientieren, und nicht an Leistung.

Piet van Breemen SJ

Erschienen in: entschluss 54 (1999) H.1, 4-5
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Entscheidungen – einsam oder gemeinsam?



Die Chancen einer geistlichen Entscheidungsfindung in Gemeinschaft

Das 2. Vatikanische Konzil versuchte, in seinem „aggiornamento“ die Kirche für neue gesellschaftliche
Bewegungen zu öffnen. Dazu gehörte auch die Einsicht, dass das hierarchische
Organisationsprinzip der Kirche nicht alleine stehen darf. Kirche ist immer auch als „communio“
zu verstehen, als Gemeinschaft der Glaubenden. Wir glauben, dass der Heilige Geist in allen
Gliedern der Kirche am Werk ist.

Dieses Kirchenverständnis hat große Auswirkungen auf die Entscheidungsstrukturen. Während
im 19. Jahrhundert die Entscheidungsvollmacht der Amtsträger und der Entscheidungsprimat des
Papstes zentrale Punkte des Kirchenbildes waren, wird seit ca. 30 Jahren versucht, möglichst
viele Gläubige an Entscheidungen zu beteiligen. Auf allen Ebenen der Kirche – vom Pfarrgemeinderat
bis zur Bischofssynode – sind Beratungs und Entscheidungsstrukturen mit starker
Partizipation der Basis entstanden.

Bei aller Öffnung für demokratischere Strukturen und für gemeinsame Wege zur Entscheidung
weiß inzwischen jeder, dass auch in den neuen Strukturen nicht alles glatt läuft. Denn wenn
einfachhin das demokratische Mehrheitsprinzip gelten soll, dann gibt es Unterlegene und Verlierer.
Wenn so lange palavert werden soll, bis alle sich einig sind, kommt man oft an kein Ende.
Wenn in wichtigen Fragen die Letztentscheidung beim kirchlichen Amtsträger bleibt, kann ein
Gremium sich bald überflüssig fühlen. Durch die Möglichkeit einer Partizipation an Entscheidungen
ist meistens noch nicht viel gewonnen; wichtig ist, wie solche Entscheidungen zustande
kommen. Die ignatianische Methode der geistlichen Entscheidungsfindung in Gemeinschaft
kann dazu eine gute Hilfe bieten.

Den Willen Gottes suchen

In den Geistlichen Übungen (Exerzitien) des Ignatius von Loyola läuft vieles auf die „Wahl“
hinaus: der Übende wird auf einem Bekehrungs und Nachfolgeweg an einen Punkt geführt, an dem er ehrlich beginnt zu fragen: „Herr, was willst du, dass ich tun soll?“ Diese Frage nach dem Willen Gottes für das eigene Leben gilt als das Herzstück der Exerzitien. Einfach ausgedrückt verläuft der Prozess so: Nach einer ersten Phase der Reinigung von seinen Sünden beginnt der Übende um innere Vertrautheit mit Jesus zu beten, um ihm besser nachfolgen zu können. Eine solche Bereitschaft zur Nachfolge – aus Liebe und Sympathie zum Herrn – kann sich einstellen, wenn jemand über viele Tage hinweg das Leben Jesu betrachtet. Dabei reflektiert und betet er auch über anstehende Entscheidungen im eigenen Leben. Diese Betrachtungen und Reflexionen lassen in ihm ein Gespür dafür reifen, was mehr der Lebenshaltung Jesu entspricht. Dieses Gespür nennt Ignatius Unterscheidung der Geister.

Die eigenen Motive („Geister“) werden im Blick auf eine anstehende Entscheidung daraufhin überprüft, ob sie im Einklang sind mit der Lebenshaltung Jesu oder nicht. Das innere Gefühl einer solchen Übereinstimmung nennt Ignatius„geistlichen Trost“. Und aus eigener Erfahrung war er überzeugt, dass jemand mittels solcher
Unterscheidungs und Entscheidungsprozesse den Willen Gottes für sein Leben finden kann.
Die ersten Gefährten des Ignatius waren durch die Exerzitien und den Umgang mit den alltäglichen
Fragen in dieser geistlichen Unterscheidung erprobt. Als schließlich 1539 die Frage anstand,
ob sie als Gefährten zusammenbleiben sollten, trafen sie sich zu Beratungen in Rom.

Diesmal sollte es um eine gemeinsame „Wahl“ gehen. Sie standen vor der Aufgabe, einen gemeinsamen
geistlichen Entscheidungsprozeß zu gestalten, gemeinsam nach dem Willen Gottes
zu suchen. Dieser Suchprozess dauerte mehrere Monate. Die Gefährten fanden zu völlig neuen
Beratungs und Entscheidungsmethoden. Und das Resultat, nämlich der Beschluss einen neuen
Orden zu gründen, kann wirklich als Ergebnis einer gemeinsamen Unterscheidung der Geister
angesehen werden. Dieser Vorgang der „Beratung der ersten Gefährten“1 hat Geschichte
gemacht und wird heute immer wieder als Modell für einen geistlichen Entscheidungsprozeß in
Gemeinschaft herangezogen.

Doch auch die Jesuiten haben dieses geistliche Instrument der ersten Gefährten über Jahrhunderte
kaum eingesetzt. Erst der Generalobere P. Pedro Arrupe SJ hat 1971 in einem Brief an
den ganzen Orden dazu aufgerufen, die Chancen einer gemeinsamen geistlichen Entscheidungsfindung
wieder mehr zu nutzen. Seitdem gibt es viele neue Erfahrungen damit und auch eine
Menge Literatur zu diesem Thema2.

Gemeinsam entscheiden – wie geht das?

Bei Entscheidung, die gemeinsam getroffen werden sollen, treten häufig folgende Probleme auf:
1. Manch einer kommt mit vorgefassten Entscheidungen in die Beratung und blockiert dadurch
alle anderen. 2. Sympathie, Antipathie und andere Affekte in den Beziehungen beeinflussen
wesentlich das Resultat. 3. Leute, die gut auftreten können, dominieren die Szene, die Stillen
werden überrollt. 4. Es kommt bald zu Fraktionsbildungen, und diese lassen sich nicht mehr auflösen.
5. Man einigt sich schließlich auf irgendeinen Kompromiss, hinter dem aber niemand
richtig steht und der deshalb auch nicht umgesetzt wird.

Die Vorgehensweise bei der geistlichen Unterscheidungsfindung in Gemeinschaft versucht, solche
Fallen zu vermeiden. Dabei ist die Haltung aller Beteiligten zum Entscheidungsprozeß sehr
wichtig: Will hier jeder seine Meinung und seine Interessen durchdrücken oder suchen wir gemeinsam
nach der Lösung, die wir miteinander für die bessere halten? Geistlich lässt sich diese
Frage so formulieren: Suchen wir gemeinsam nach dem, was mehr dem Willen Gottes entsprechen
könnte, oder ist hier jeder nur auf den eigenen Vorteil bedacht? Wenn ein solches
geistliches Fundament wenigstens im Ansatz vorhanden ist, kann dies dem Beratungsprozess
jene Freiheit geben, die nötig ist, um wirklich offene Fragen stellen zu können.

Dies bedeutet auch, dass jeder sich um eine gewisse „Indifferenz“ gegenüber den Wahlalternativen
bemüht. Mich indifferent zu machen, bedeutet nicht, dass mir die angebotenen Lösungsalternativen
egal sind; vielmehr heißt es, offen zu sein für verschiedene Lösungsmöglichkeiten
und sich nicht vorschnell an einer bevorzugten Lösung festzubeißen.
Um Ruhe und Klarheit im Beratungsprozess herzustellen, ist es nötig, zu Beginn folgende
Punkte möglichst gut zu klären: Wer darf an diesem Entscheidungsprozeß teilnehmen mit welcher
Entscheidungskompetenz? Welche Frage (möglichst präzise) steht zur Entscheidung an?
Nach welcher Vorgehensweise wollen wir diesen Prozess gestalten?

Wenn es gelungen ist, eine klare Frage zur Entscheidung herauszuarbeiten, kann der eigentliche
Prozess der geistlichen Unterscheidung beginnen. Schnelle Fraktionsbildungen können vermieden
werden, wenn zunächst gar nicht die Frage auftaucht „Wer ist für diese Lösung? Wer ist für
die andere?“, sondern wenn Gründe für und gegen jede der Wahlalternativen vorgetragen
werden. Die Gründungsväter des Jesuitenordens trafen sich jeweils am Abend zu ihren Beratungen.
An einem Abend sollten alle sich äußern zu Gründen, die für die Lösung A sprechen;
abends darauf alle Gründe gegen Lösung A. Wieder einen Tag später äußerten sich alle mit ihren
Gründen für Lösung B, tags darauf gegen Lösung B. Das bedeutete, dass schließlich jeder
Gründe für und gegen jede der Lösungsmöglichkeiten vorgetragen hatte. Dieses Vorgehen ver
schafft eine völlig neue Einstellung zu den Lösungsmöglichkeiten. Tagsüber sollte dann jeder
über die Gründe beten und reflektieren, die er von den anderen gehört hatte, und sie in seine
eigene Urteilsbildung mit einbeziehen.

Der regelmäßige Rückzug ins persönliche Gebet und die beständige Bitte an Gott, er möge uns
den besseren Weg zeigen, reduziert die Gefahr, dass eine Entscheidung zu sehr von Sympathien
und Antipathien oder persönlichen Animositäten beeinflusst ist. Außerdem hilft es, die Argumente
in der Form eines Anhörkreises vorzutragen: jeder darf seine Gründe vortragen, ohne
dabei von anderen unterbrochen oder kritisiert zu werden. Dies gibt jedem ungefähr die gleiche
Chance, seine Meinung zum Ausdruck zu bringen.

Wenn alle Argumente gehört wurden, soll jeder in der oben genannten Form der Unterscheidung
der Geister bei sich klären, für welche Lösung er sich entscheidet. Dann trägt jeder seine Entscheidung
vor. Hat man sich vorher auf ein Mehrheitsvotum verständigt, mag die Entscheidung
bald fallen. War Einstimmigkeit angezielt, ist solange fortzufahren, bis alle einer Lösung zustimmen
können. In dieser Phase ist die Aufmerksamkeit auf die „Geister“ sehr wichtig. Wenn
sich bei der gefundenen Lösung nicht so etwas wie „geistlicher Trost“ einstellt, liegt es nahe,
dass man sich auf einen faulen Kompromiss geeinigt hat; und es ist dann kaum zu erwarten, dass
es zu einer fruchtbaren Umsetzung der Entscheidung kommen wird. Kann die ganze Gruppe jedoch
in Frieden und Zuversicht zu der Entscheidung stehen, ist dies ein Anzeichen, dass sie vom
guten Geist gewirkt sein mag.

Gemeinsam entscheiden – über ein aktuelles Problem
Angenommen, eine Pfarrgemeinde erfährt, dass sie nach der Ablösung des jetzigen Pfarrers
keinen eigenen Priester mehr haben wird und dass der Nachbarpfarrer die Pfarre mitverwalten
soll. Der zukünftige Pfarrverwalter teilt dem Pfarrgemeinderat mit, dass er statt der bisherigen
drei Sonntagsmessen in Zukunft nur noch eine wird halten können. Und er bittet den Gemeinderat
um einen Vorschlag für die zukünftige Gottesdienstordnung.

Der Gemeinderat könnte sich darauf verständigen, in drei aufeinander folgenden Sitzungen eine
geistliche Entscheidungsfindung in Gemeinschaft zu versuchen (dabei muss nicht jede Sitzung
ganz mit diesem Thema gefüllt sein). In der ersten Sitzung werden einige Lösungsmöglichkeiten
andiskutiert, und man verständigt sich auf zwei oder drei Lösungen, die zur Entscheidung gestellt
werden. Bis zur zweiten Sitzung überlegt sich jeder seine Argumente für und gegen jede
der Lösungen.

Diese Argumente werden dann in einem Anhörkreis vorgetragen und vielleicht
auch danach diskutiert. Eventuell können auch zwischen den Sitzungen andere Gemeindemitglieder
eingeladen werden, ihre Meinung zu den Alternativen zu äußern. In der dritten Sitzung
wird dann nach einer Gebetsstille eine Entscheidung getroffen. Solch eine Vorgehensweise
verspricht eher eine konstruktive gemeinsame Lösung, als wenn man sich in einer Sitzung zuerst
die Köpfe heiß redet und dann am Schluss entnervt abstimmt.

Franz Meures SJ

1„Beratung der ersten Gefährten“, in: Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen und erläuternde Texte, hg. von
P. Knauer, Leipzig 1978, 317326.
2 Einige Titel seien genannt: Peter Köster, Entscheidung als geistlicher Prozeß. Ordensnachrichten 1992.
Sonderreihe Dokumentation, Heft 9.Franz
Meures, Gottes Willen suchen gemäß dem Ziel unserer Berufung.
Zum Prozeß einer geistlichen Entscheidungsfindung in Gemeinschaft. In: Korrespondenz zur Spiritualität der
Exerzitien 40 (1990), Heft 56, 2948.
ders.,
Geistliche Prozesse in Gruppen. In: ebd. 46 (1989), Heft 69, 331.
Friedhelm
Hengsbach, Apostolische Unterscheidung in Gemeinschaft eine
Inspiration für die katholischen
Sozialverbände. In: M. Sievernich/ G. Switek (Hg.), Ignatianisch, Freiburg 1990, 569583.
Marianne
HeimbachSteins,
Unterscheidung der Geister –Strukturmoment christlicher Sozialethik, Münster 1994.
Erschienen in: entschluss 52 (1997), H. 12, S. 2325.

Sonntag, 3. März 2013

Gott in allen Dingen suchen und finden


Das „Gott-Suchen-und-Finden-in-allen-Dingen“ wird oft als zentrales Merkmal der
ignatianischen Spiritualität angesehen1. Darum lohnt es sich, der Frage nachzugehen, was
denn bei Ignatius selbst darunter zu verstehen ist. Ein in diesem Zusammenhang oft zitiertes
Wort stammt von Jeronimo Nadal, einem engen Mitarbeiter des Heiligen: „Wir wissen, dass
[unser] Vater Ignatius die einzigartige Gnade vom Herrn empfangen hatte, mit der
Kontemplation der heiligsten Dreifaltigkeit frei beschäftigt zu sein und in ihr zu ruhen. … Als
in besonderer Weise Auserwählter empfing Vater Ignatius diese Art des Gebets als großes
Privileg. Darüber hinaus auch jenes [Privileg], in allen Dingen, Handlungen, Gesprächen
Gottes Gegenwart und die Wirkung der geistlichen Dinge zu spüren und zu betrachten, im
Tun zugleich kontemplativ (simul in actione contemplativus) – er pflegte dies so zu erklären:
Gott sei in allen Dingen zu finden.“2 Bei Ignatius selbst, so macht Nadal deutlich, bedeutet
das eine echte mystische Begnadung, das Geschenk der Gottesschau im Alltag.

Ein Weg für alle
Schon für Ignatius (und ebenso für Nadal) ist diese Gebetsweise aber eine Möglichkeit und
ein Auftrag für alle (damals für alle Jesuiten, heute für alle, die in der ignatianischen
Spiritualität beheimatet sind). So findet sich in den Konstitutionen der Gesellschaft Jesu die
Aufforderung an die Ordensstudenten, „in allen Dingen Gott unseren Herrn zu suchen“.3 In
einem Brief an den portugiesischen Jesuitenstudenten Antonio Brandão, den Juan de Polanco,
der Sekretär des Ignatius, in seinem Auftrag geschrieben hat, wird dies näher erläutert: Weil
während des Studiums neben dem Besuch der Messe, einer Stunde Gebet und der
Gewissenserforschung an jedem Tag sowie Beichte und Kommunionempfang alle acht Tage
keine langen Meditationen möglich sind, können die Studenten sich „darin üben, die
Gegenwart unseres Herrn in allen Dingen zu suchen, wie im Umgang mit jemand, im Gehen,
Sehen, Schmecken, Hören, Verstehen und in allem, was wir tun … Und diese Weise zu
meditieren, indem man Gott unseren Herrn in allen Dingen findet, ist leichter, als wenn wir
uns zu den abstrakteren göttlichen Dingen erheben und uns ihnen mühsam gegenwärtig
machen.“4

Wie geht das?
Die Basis des Gott-Findens-in-allen-Dingen ist Gottes Wirken in der Welt. Bevor wir uns
aufmachen, Gott zu suchen und zu finden, hat er uns bereits in allen Dingen gesucht und
gefunden. Die Welt ist Gottes und seiner Gegenwart voll – und dies gilt es wahrzunehme
und glaubend zu erkennen. In der Betrachtung zur Erlangung der Liebe5 des Exerzitienbuchs
etwa fordert Ignatius auf zu „schauen, wie Gott in den Geschöpfen wohnt“, zu „erwägen, wie
Gott sich in allen geschaffenen Dingen auf dem Angesicht der Erde für mich müht und
arbeitet, das heißt sich in der Weise eines Arbeitenden verhält, in den Himmeln, Elementen,
Pflanzen, Früchten, Herden usw., indem er Sein gibt, erhält, belebt und wahrnehmen macht“.
Gott in allen Dingen zu suchen und zu finden, das scheint trotz all des bislang Gesagten aber
leichter gesagt als getan. Mystische Gnaden sind nicht jedermann/frau gegeben, und auch das
gläubige Bekenntnis der Gegenwart Gottes in der Welt führt noch nicht zur erspürten Nähe. In
gewisser Weise ist das aber gar nicht notwendig. Denn für Ignatius bedeutet „Gott in allen
Dingen finden“ zunächst und vor allem „in allen Dingen den Willen Gottes tun“. Ignatius als
Mystiker des Dienstes geht davon aus, dass die Mitarbeit am Aufbau des Reiches Gottes in
die Nähe Gottes führt (ob ich dies nun spüre oder nicht). Dies schließt die Bereitschaft ein,
sich um eine „rechte/gerade Absicht“ zu bemühen, d.h. sich von unlauterer Eigenliebe zu
befreien und rein aus Liebe zu handeln. Gott in allen Dingen zu suchen und zu finden, ihm
nahe sein zu wollen und nahe zu sein, meint deshalb ignatianisch, ihm um seinetwillen in den
Menschen zu dienen.

Thomas Neulinger SJ
 
Erschienen in geist.voll 4/05.1 Zu diesem Thema vgl. STIERLI Josef: Das ignatianische Gebet. „Gott suchen in allen Dingen“, in:
Ignatius von Loyola. Seine geistliche Gestalt und sein Vermächtnis. 1556-1956, hg. v. WULF
Friedrich, Würzburg 1956, 3-32; J. Sudbrack weist nach, dass das Gott-Finden-in-allen-Dingen an sich
ein Gemeingut christlicher Spiritualität ist - vgl. SUDBRACK Josef: „Gott in allen Dingen finden“. Eine
ignatianische Maxime und ihr metahistorischer Hintergrund, in: GuL 65 (1992), 165-186.
2 Hieronymus Natalis: Annotationes in Examen (1557), Nr. 80f [MHSI 90, 162]; vgl. NICOLAU Miguel:
What Nadal Meant by ‚Contemplativus in actione’, in: CIS 8 (1977), Nr. 25, 7-16.
3 Satzungen 288, zit. nach IGNATIUS von Loyola: Gründungstexte der Gesellschaft Jesu, übers. von
Peter Knauer, Würzburg 1998.
4 Brief vom 1. Juni 1551, zit. nach IGNATIUS von Loyola: Briefe und Unterweisungen, übers. von
Peter Knauer, Würzburg 1993, 346—353, hier 350; hier wird auch deutlich, dass das Gott-Finden-inallen-
Dingen keinesfalls einen Ersatz oder gar einen Gegensatz zu regelmäßigem Gebet und zum
Besuch des Gottesdienstes meint; vgl. auch den Brief an Urbano Fernandes (Rom, 1. Juni 1551),
ebd., 341-345, bes. Nr. 6/344.5 IGNATIUS von Loyola: Geistliche Übungen, übers. u. erl. v. Peter Knauer, Graz, 3. Aufl. 1988, Nr.
230-237.

Glossar



Ad amorem
Lateinische Bezeichnung für die Betrachtung zur Erlangung der Liebe.

Agere contra
Wenn ein Autoreifen platzt oder ein Auto auf glatter Straße ins Schleudern kommt, dann gilt es
entsprechend kräftig oder behutsam "gegenzusteuern". Dieses Gegenlenken gibt es auch auf der
"Straße" des menschlichen Lebens. Ignatius spricht in diesem Sinn von "agere contra", davon,
"dagegen zu handeln", als eine bewusste Gegenbewegung zu machen. Ignatius weiß, dass der
Mensch nie von allen seinen Schlagseiten, seinen "ungeordneten Neigungen" frei wird. Dies zeigt
eine sehr bezeichnende Korrektur im Exerzitienbuch. Ignatius hat in einem ihm selbst vorliegenden
Exemplar den Text "keine ungeordneten Neigungen zu haben" eigenhändig korrigiert in: "um sich
durch keine ungeordneten Neigungen bestimmen zu lassen."
Wer in seinem Leben gegensteuern möchte, tut gut daran zu wissen, wo seine ganz persönlichen
Schlagseiten und Schwachpunkte liegen. Wer normalerweise zuviel redet oder zuviel trinkt oder
zuviel arbeitet oder zu vorsichtig ist, dem hilft es gegenzusteuern, indem er im Zweifelsfall lieber
ein Wort zu wenig sagt, ein alkoholfreies Bier trinkt, einen arbeitsfreien Tag verbringt, ein offenes
Wort riskiert. (nach Willi Lambert)
 
Anmerkungen
Die sogenannten Anmerkungen (lat. Annotationes) stehen am Anfang des Exerzitienbuches (EB 1-
20). In ihnen finden sich Hinweise für das Geben und Machen der Geistlichen Übungen und zum
Wesen von ignatianischen Exerzitien.

Anwendung der Sinne
[Dazu findet sich ein Artikel in der Bibliothek.]

Betrachtung zur Erlangung der Liebe
Diese Betrachtung ist die Letzte, die sich im Exerzitienbuch findet (EB 230-237). Als Abschluss der
Dreißigtägigen Exerzitien fasst diese Übung den Prozess der vier Wochen zusammen und zeigt auf,
wie einerseits die ganze Schöpfung von Gottes Liebe und Wirken durchwaltet ist, und wie
andererseits wir Menschen angesichts dieser Zuwendung Gottes zu ebenso vorbehaltloser Liebe
gerufen sind.

Christ-Königs-Betrachtung
Siehe „Ruf des Königs“

Contemplativus in actione
[Siehe dazu in der Bibliothek den Artikel „Gott suchen und finden in allen Dingen“.]

Exerzitien
Exerzitien wollen in das eigene Leben mehr Klarheit bringen, den Menschen neu auf Gott hin
ausrichten und bei Lebensentscheidungen und Orientierungssuche helfen.
So wie es Übungen (lat. Exercitia) für den Körper gibt, gibt es auch „Geistliche Übungen“ für Seele
und Leib, wie etwa verschiedene Formen und Weisen von Gebet, Betrachtung, Meditation,
Körperübungen u. ä.

Unter „Exerzitien“ wurden ursprünglich jene geistlichen Übungen verstanden, welche Ignatius von
Loyola in seinem „Exerzitienbuch“ vorgelegt hat. Heute werden Exerzitien als ignatianische,
benediktinische, franziskanische, kontemplative Exerzitien u. v. m. angeboten.
Sie finden als Einzelexerzitien, Gruppenexerzitien, Vortragsexerzitien, Exerzitien im Alltag u. a. m.
statt.

Wesentliche Elemente von Exerzitien sind: persönliche Gebetszeiten, Stille und eventuell Gespräche mit einer Begleiterin oder einem Begleiter.
Ignatianische Einzelexerzitien sind eine bewährte Möglichkeit, die je eigene Gottesbeziehung zu
vertiefen und Lebensentscheidungen – wenn sie anstehen – vor Gott zu treffen. Dabei werden die
persönlichen Lebenssituationen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aufgegriffen und die
Übungen auf diesem geistlichen Weg individuell angepasst. Grundlage dafür ist das Exerzitienbuch
des Ignatius. Die sogenannten „Großen Exerzitien“ dauern dreißig Tage.

Häufiger sind kürzere Formen von zumeist sechs bis zehn Tagen Dauer, in durchgängigem
Schweigen, mit drei bis vier persönlichen Gebetszeiten an jedem Tag. Inhalt des täglichen
Gesprächs mit der/dem Begleiter/in ist der je eigene Weg vor und mit Gott.
Ignatianische Einzelexerzitien werden für Einzelne (nach Vereinbarung) oder als Kurs für eine
Gruppe angeboten. In einem Kurs sind in der Regel auch die Feier der Eucharistie und gemeinsame
Gebetszeiten Bestandteil des Programms. Weitere gemeinsame Elemente können sein: täglicher
(kurzer) Vortrag, gemeinsame Meditationszeiten, Angebote zur vertiefenden Körperwahrnehmung
und Tageszeitengebet.

Exerzitien im Alltag
In der Anmerkung 19 des Exerzitienbuches führt Ignatius eine Form von „Geistlichen Übungen“ an,
bei der der Exerzitant/ die Exerzitantin sich nicht in Abgeschiedenheit zurückzieht, sondern diese
Übungen einige Wochen oder Monate im Alltag, parallel zu den üblichen Beschäftigungen macht.
Lange Zeit vergessen, wurde diese Form vor einigen Jahren wieder entdeckt und ist heute unter dem
Namen „Exerzitien im Alltag“ in unterschiedlichsten Weisen verbreitet.

Formula Instituti
Der Ausdruck „Institut der Gesellschaft Jesu“ bezeichnet einerseits die Lebens- und Arbeitsweise
der Jesuiten und andererseits die schriftlichen Dokumente, in denen diese Lebens- und Arbeitsweise
verbindlich beschrieben ist. Eine zentrale Stellung unter den Dokumenten nimmt die sogenannte
„Formula Instituti“ ein, die ursprüngliche „Regel“ des Jesuitenordens, die zuerst 1540 von Papst
Paul III. und dann 1550 von Papst Julius III. bestätigt worden ist.


Gebet der liebenden Aufmerksamkeit
[Siehe Einheiten 6 und 7]

Geistliches Tagebuch
Im Zusammenhang mit der Abfassung der Satzungen des Jesuitenordens setzte sich Ignatius
intensiv mit der Frage auseinander, welche Armutsbestimmungen gelten sollten. Dabei feierte er die
Messe und legte die Frage, mit der er rang, Gott im Gebet vor. In dieser Zeit notierte er jeden Tag,
was dabei in seiner Seele vorging. Diese privaten Aufzeichnungen, die mit dem 2. Februar 1544
beginnen und mit dem 27. Februar 1545 enden, bestehen im Original aus 27 Blättern und enthalten
Überlegungen zur Sache und Beschreibungen der mystischen Erfahrungen, die Ignatius in dieser
Zeit machte.

Geistliche Übungen
Siehe Exerzitien

Gesellschaft Jesu
Deutsche Übersetzung des offiziellen lateinischen Namens für den Jesuitenorden, Societas Iesu.
Gott in allen Dingen suchen und finden
[Dazu findet sich ein Artikel in der Bibliothek.]

Ignatianisch/ Jesuitisch
Als ignatianisch wird etwas dann bezeichnet, wenn es auf Ignatius und seine Spiritualität
zurückgeht. Jesuitisch hingegen ist etwas dann, wenn es für den Jesuitenorden charakteristisch war
oder ist.
Anders gesagt: Alles Jesuitische ist ignatianisch, aber nicht alles Ignatianische ist auch jesuitisch.
So gibt es heute zahlreiche Orden und Gemeinschaften, die unabhängig von der Gesellschaft Jesu
aus der ignatianischen Spiritualität leben.

Ignatianische Einzelexerzitien
Siehe Exerzitien

IHS
Das Christusmonogramm IHS entstand durch die verkürzte Schreibweise des Namens „Jesus“ in
Griechisch mit den Großbuchstaben IHC (für JES). Bei der Übernahme in den lateinischen
Sprachraum wurde dann daraus IHS. Bereits vor Ignatius und dem Jesuitenorden verbreitet, wird
diese Buchstabenkombination in einer speziellen Form zum „Signet“, zum Logo der Gesellschaft
Jesu: als IHS mit einem Kreuz über dem Mittelstrich des H, drei Nägeln unter dem IHS und
umgeben von einer Strahlensonne.

Indifferenz
Ignatianische Indifferenz heißt, persönliche Vorlieben, Bindungen und vorgefasste Meinungen
aufzugeben, um offen für Gottes Willen zu sein, wenn es um das Treffen einer Entscheidung geht.

Iñigo
Ignatius von Loyola wurde auf den Namen Iñigo (nach dem spanischen Heiligen Enecus) getauft,
änderte aber später seinen Namen in Ignatius – vermutlich aufgrund seiner Verehrung für den hl.
Ignatius von Antiochia.
 
Kirchlichkeit
Ignatius und seinen ersten Gefährten war die Verbindung mit dem Papst und der Dienst an der
katholischen Kirche ein Herzensanliegen. Auch im Exerzitienbuch finden sich Regeln für das
„Fühlen mit der Kirche“ (EB 352-370). Dies gilt bis heute – so sagte die 34. Generalversammlung
des Ordens 1995: „Im Dienst für den Herrn und seine Braut, die Kirche, das Volk Gottes, sind wir
besonders verbunden mit dem Papst, um uns zu den Aufgaben senden zu lassen, die er uns
anvertraut. Als Männer der Kirche können wir nicht anders, als mit der Kirche zu denken, geleitet
vom Geist des auferstandenen Herrn.“

Zugleich erklärte diese Generalversammlung: „Wenn unsere Liebe zu Christus – die nicht zu
trennen ist von unserer Liebe zu seiner Braut, der Kirche – uns drängt, in jeder Situation Gottes
Willen zu suchen, dann kann diese Liebe uns auch verpflichten, konstruktive Kritik zu üben, die
getragen ist von geistlicher Unterscheidung im Gebet.“

Kolloquium
Siehe Zwiegespräch

Kontemplation
[Dazu findet sich ein Artikel in der Bibliothek.]

La Storta
In einer Kapelle dieses Dorfes nahe bei Rom hatte Ignatius 1537 eine Vision: Er sah Christus mit
dem Kreuz auf der Schulter und Gottvater neben ihm. Der Vater sagte zum Sohn: „Ich will, dass du
diesen als meinen Diener annimmst.“ Jesus sprach zu Ignatius: „Ich will, dass du uns dienst.“ In
einem Bericht ist auch zu finden, dass Gott zu Ignatius sprach: „Ich werde euch in Rom gnädig
sein.“ – Ignatius meinte dazu: „Vielleicht werden wir in Rom gekreuzigt werden.“ Für Ignatius und
die ersten Gefährten stellte diese Vision eine göttliche Bestätigung des eingeschlagenen Weges und
ihrer Gemeinschaft dar.

Magis (lat. für „Mehr“)
Das typisch ignatianische Mehr ist ein Mehr an persönlicher Beziehung zu Gott und zu Christus, ein
Mehr der Ausrichtung des eigenen Lebens auf Gott hin, ein Mehr des Engagements in der Welt.
Siehe auch den Artikel „Das ‚Mehr’ bei Ignatius“ in der Bibliothek.

Manresa
In diesem kleinen nordspanischen Dorf lebte Ignatius zehn Monate lang (1522/23). Dieser
Aufenthalt war für ihn eine Zeit der geistlichen Reifung (nach dem ersten Enthusiasmus, der auf
dem Krankenbett in Loyola begonnen hatte). Von einer übertriebenen Askese fand er zu einer
persönlichen Gottes- und Christusbeziehung und wurde vom einzelgängerischen Eremiten zum
Seelsorger.

Meditation
[Dazu findet sich ein Artikel in der Bibliothek.]

Misstrost
Ignatius schreibt: „Ich nenne Misstrost/ Trostlosigkeit ... Dunkelheit der Seele, Verwirrung in ihr,
Regung zu den niederen und irdischen Dingen, Unruhe von verschiedenen Bewegungen und
Versuchungen, die zu Unglauben bewegen, ohne Hoffnung, ohne Liebe, wobei sich die Seele ganz
träge, lau, traurig und wie von ihrem Schöpfer und Herrn getrennt findet.“ (EB 317)
Eine Erklärung dazu findet sich in Einheit 3.
 
Omnia ad maiorem Dei gloriam
In Büchern, auf Bildern und Bauwerken, die mit den Jesuiten verbunden sind, finden sich oft die
Worte „Omnia ad maiorem Dei gloriam“ oder die Abkürzung OAMDG – zu deutsch: „Alles zur
größeren Ehre Gottes“. Ignatius war es wichtig, dass die Gesellschaft Jesu und die einzelnen
Jesuiten all ihr Tun und Handeln immer mehr auf Gott und seine Ehre ausrichten (wobei die Ehre
Gottes darin besteht, dass unter allen Menschen Glaube, Hoffnung und Liebe wachsen und dass
Friede und Gerechtigkeit sich durchsetzen). So wurde diese Formulierung zum Motto des
Jesuitenordens.

Praesupponendum
Eine Voraussetzung für das Geben und Machen von Exerzitien, die zugleich eine Anregung für den
Umgang mit der Meinung anderer im Alltag darstellt, führt Ignatius im sogenannten
Praesupponendum an: „Damit sowohl der, der die geistlichen Übungen gibt, wie der, der sie
empfängt, mehr Hilfe und Nutzen haben, ist vorauszusetzen, dass jeder gute Christ bereitwilliger
sein muss, die Aussage des Nächsten zu retten, als sie zu verurteilen; und wenn er sie nicht retten
kann, erkundige er sich, wie jener sie versteht, und versteht jener sie schlecht, so verbessere er ihn
mit Liebe; und wenn das nicht genügt, suche er alle angebrachten Mittel, damit jener, indem er sie
gut verstehe, sich rette.“ (EB 22)

Prinzip und Fundament
Das sogenannte „Prinzip und Fundament“ ist ein Text im Exerzitienbuch, der eine „Vision“ für das
Leben enthält. Hinter den trockenen Worten mit ihrem logischen Aufbau verbirgt sich eine
Lebenserfahrung des Ignatius: die Ausrichtung auf Gott und auf den Dienst für ihn erfüllt uns und
hilft uns, zu wachsen, zu reifen, unseren Weg zu finden.

Der Text lautet: „Der Mensch ist geschaffen, um Gott, unseren Herrn, zu loben, ihm Ehrfurcht zu
erweisen und zu dienen und mittels dessen seine Seele zu retten; und die übrigen Dinge auf dem
Angesicht der Erde sind für den Menschen geschaffen und damit sie ihm bei der Verfolgung des
Ziels helfen, zu dem er geschaffen ist. Daraus folgt, dass der Mensch sie soweit gebrauchen soll, als
sie ihm für sein Ziel helfen, und sich soweit von ihnen lösen soll, als sie ihn dafür hindern.

Deshalb ist es nötig, dass wir uns gegenüber allen geschaffenen Dingen in allem, was der Freiheit
unserer freien Entscheidungsmacht gestattet und ihr nicht verboten ist, indifferent machen. Wir
sollen also nicht unsererseits mehr wollen: Gesundheit als Krankheit, Reichtum als Armut, Ehre als
Ehrlosigkeit, langes Leben als kurzes; und genauso folglich in allem sonst, indem wir allein
wünschen und wählen, was uns mehr zu dem Ziel hinführt, zu dem wir geschaffen sind.“ (EB 23)

„Der Ruf des Königs“ – Betrachtung
Ignatius verwendete als Kind seiner Zeit und als Adeliger die Bilder und Vorstellungen, die ihm
vertraut und die aufgrund seiner Herkunft von Bedeutung für ihn waren. In der Betrachtung vom
Ruf des Königs (EB 91-99) geht er von der idealen Beziehung zwischen König und Vasall aus und
schildert, wie der König ruft und auffordert, in seinen Dienst zu treten, in einen Dienst, in dem Herr
und Diener bereit sind, das Leben zu geben für den anderen, in dem keiner den anderen verlässt, sie
das gleiche Los teilen, die gleiche Nahrung, den gleichen Kampf, den gleichen Triumph usw.
Diese Vorstellung wird dann auf Jesus übertragen, der seine Jünger ruft, eine solche Lebens- und
Schicksalsgemeinschaft mit ihm einzugehen. Diese Einladung verlangt nach einer Antwort, nach
der Bereitschaft, sie anzunehmen und sich aktiv für die Nachfolge Jesu zu entscheiden.

Satzungen
Ab 1541 schrieb Ignatius an den Satzungen (auch Konstitutionen), ab 1547 in enger
Zusammenarbeit mit seinem Sekretär Juan de Polanco und in Rücksprache mit der Gruppe der
ersten Gefährten, mit denen zusammen er die Gesellschaft Jesu gegründet hatte. Nach seinem Tod
wurden sie von der ersten Generalversammlung 1558 als „Grundgesetz“ des Jesuitenordens in Kraft
gesetzt. Die Satzungen verbinden die geistliche Erfahrung der Exerzitien mit nüchternen
Rechtsvorschriften – sie sind Gesetzestext und spirituelles Werk in einem.

Die Satzungen bestehen aus dem sogenannten „Examen (generale)“, das früher den Bewerbern vor
der Aufnahme vorzulegen war, und den eigentlichen Satzungen. In zehn Teilen legen diese die
Bedingungen für die Aufnahme in den Jesuitenorden fest und nennen die Entlassungsgründe für
ungeeignete Bewerber. Sie regeln die geistliche Formung und wissenschaftliche Ausbildung der
jungen Jesuiten und deren endgültige Eingliederung in den Orden durch Gelübde und die
Verpflichtungen, die sich daraus ergeben. Des Weiteren sind Vorschriften über die apostolischen
Arbeiten der Ordensmitglieder enthalten, über ihre Beziehungen untereinander und ihr Verhalten
gegenüber den Oberen. Abschließend folgen die Aufgaben des Generaloberen und Anweisungen
zur Erhaltung des guten Zustands des ganzen Ordens.

Societas Jesu
Aus Verehrung für Jesus und seinen Namen wählten Ignatius von Loyola und seine ersten
Gefährten für ihre Gruppe den Namen „Gesellschaft Jesu“, lateinisch „Societas Jesu“, abgekürzt SJ.

Trost
Dazu sagt Ignatius: „Überhaupt nenne ich Trost/ Tröstung alle Zunahme an Hoffnung, Glaube und
Liebe und alle innere Freudigkeit, die zu den himmlischen Dingen ruft und hinzieht und zum
eigenen Heil seiner Seele, indem sie ihr Ruhe und Frieden in ihrem Schöpfer und Herrn gibt.“ (EB
316) Eine Erklärung dazu findet sich in Einheit 3.

Unterscheidung der Geister
Im Exerzitienbuch finden sich zwei Zusammenstellungen von Regeln, um die Geister zu
unterscheiden (EB 313-327 und EB 328-336). Eine Darstellung und Erklärung dieser Regeln findet
sich in Einheit 2 und 3 des Kurses.

Wahl
Ein Ziel von Exerzitien ist es, „den göttlichen Willen .... zu suchen und zu finden“ (EB 1), mit
anderen Worten: eine Antwort auf die Frage zu finden, was Gott will, dass die Exerzitantin/ der
Exerzitant in und mit ihrem/ seinem Leben tut.
Diesen Klärungs- und Entscheidungsprozess bezeichnet Ignatius als Wahl. Das wichtigste Mittel
dabei ist die Unterscheidung der Geister; im Rahmen von dreißigtägigen Exerzitien ist die Wahl
Bestandteil der zweiten Woche.

Woche
Die dreißigtägigen Exerzitien, wie sie das Exerzitienbuch vorsieht, sind in vier Wochen eingeteilt,
d.h. in vier Abschnitte, die jeweils ungefähr eine Woche dauern (eine Verkürzung oder
Verlängerung ist abhängig von dem persönlichen Weg der Exerzitantin/ des Exerzitanten).
Thema der ersten Woche ist das Böse in der Welt, die Verstrickung des Menschen in Sünde und
Schuld sowie die Vergebung und Annahme durch Gott. In der zweiten Woche geht es um Jesus und
sein Leben bis hin zur Passion, die dritte Woche ist dem Kreuz und dem Tod Jesu gewidmet, die
vierte Woche schließlich der Auferstehung des Herrn.

Zwei Banner-Betrachtung
Diese Besinnung in der zweiten Woche der Exerzitien (EB 136-148) ist von Bildern und
Vorstellungen geprägt, die heute für manche Menschen schwer zugänglich sind. Ignatius spricht
von zwei Feldlagern, das eine in der Gegend von Jerusalem, versammelt um das Banner Christi, das
andere in der Gegend von Babylon unter dem Banner Luzifers.

Hinter diesem Bild steht die Einsicht, dass das Reich Gottes in unserer Welt auf Widerstand stößt,
dass es angesichts dieses Widerstands Einsicht in die Kräfte braucht, die im Leben der Nachfolge
Christi entgegenstehen, sowie die Bereitschaft, sich gegen diese Kräfte zu entscheiden und den Weg
Jesu, den Weg der Wahrheit, der Demut und der Gewaltlosigkeit zu gehen.
Zusätze Sie sind eine Sammlung von Hinweisen und Ratschlägen für die Gebetszeiten in den Geistlichen
Übungen, die Ignatius im Exerzitienbuch zusammengestellt hat (EB 73-90).

Zwiegespräch
Das Zwiegespräch (auch Kolloquium genannt) ist der vorletzte Abschnitt einer Gebetszeit, wie sie
das Exerzitienbuch vorschlägt: ein Gespräch mit Gott-Vater, Christus und Maria über die
Einsichten, die Anliegen, die Regungen im Herzen usw., die der Beterin/ dem Beter in der Zeit der
Besinnung oder Betrachtung gekommen sind.