Freitag, 9. August 2013

...das Gute behaltet

Nach vielen Jahren zum ersten mal wieder gehört. Eigentlich mag ich alle Songs, jedes auf seine Art, das Lied ab Minute 50:30 find ich für heute ganz passend zu Edith Stein.

Sonntag, 21. April 2013

Buchtipps




Schriften von Ignatius

- Geistliche Übungen, übers. v. Peter Knauer SJ, Würzburg (Echter-Verlag) 4. Aufl. 2006, 156 S., € 12,80 (D)/ 13,20 (A).
- Bericht des Pilger, übers. v. Peter Knauer SJ, Würzburg (Echter-Verlag) 2. Aufl. 2005, 220 S., € 14,80 (D)/ 15,30 (A).
- Gründungsstexte der Gesellschaft Jesu, Würzburg (Echter-Verlag) 1998, 976 S., € 39,90 (D)/ 41,10 (A).
- Briefe und Unterweisungen, Würzburg (Echter-Verlag) 1993, 995 S., € 36,80 (D)/ 37,90 (A).

Bücher über Ignatius und den Jesuitenorden

- Cándido d Dalmases SJ: Ignatius von Loyola. Versuch einer Gesamtbiographie, München (Verlag Neue Stadt) Neuauflage 2006, 304 S., € 22,00 (D)/ 22,70 (A).
- Stefan Kiechle SJ: Ignatius von Loyola, Freiburg (Herder-Verlag), überarb. Neuaufl. 2007, 192 S., € 9,90 (D)/ 10,20 (A).
- Lutz Müller SJ, Ignatius von Loyola begegnen, Augsburg (Sankt Ulrich-Verlag) 2004, 174 S., € 11,90 (D)/ 12,30 (A).
- Peter C. Hartmann: Die Jesuiten, München (Beck-Verlag), 2. Aufl. 2008, 128 S., € 7,90 (D)/ 8,20 (A).

Bücher zur Ignatianischen Spiritualität

- Willi Lambert SJ: Aus Liebe zur Wirklichkeit. Grundworte ignatianischer Spiritualität, Topos Plus Taschenbuch 367, 8. Aufl. 2008, 197 S., € 9,90 (D)/ 10,20 (A).
- Josef Maureder SJ: Wir kommen, wohin wir schauen. Berufung leben heute, Innsbruck (Tyrolia-Verlag), 4. Aufl. 2007, 128 S., € 12,90 (A+D).

Aus der Reihe "Ignatianische Impulse" wird besonders hingewiesen auf:
- Willi Lambert SJ: Das siebenfache Ja. Einübungen in die Exerzitien, 120 S., 3. Auflage, € 8,90 (D), EUR 9,20 (A).
- Stefan Kiechle SJ: Sich entscheiden, 80 S., 3. Auflage, € 7,90 (D)/ 8,20 (A).
- Willi Lambert SJ: Wovon die Liebe lebt, 96 S., 2. Aufl., € 8,90 (D)/ 9,20 (A).
- Stefan Kiechle SJ: Macht ausüben, 80 S., 2. Aufl., € 7,90 (D)/ 8,20 (A).

Wir haben bei allen Büchern geprüft, ob sie lieferbar sind, und auch die Preisangaben sorgfältig recherchiert - dennoch: alle Angaben ohne Gewähr.

Sonntag, 14. April 2013

Einübung in die Großzügigkeit



Am Ende die Rechnung
Einmal wird uns gewiß die Rechnung präsentiert
für den Sonnenschein und das Rauschen der Blätter,
die sanften Maiglöckchen und die dunklen Tannen,
für den Schnee und den Wind, den Vogelflug und das Gras
und die Schmettlinge;
für die Luft, die wir geatmet haben
und den Blick auf die Sterne
und für all die Tage, die Abende und Nächte.
Einmal wird es Zeit, daß wir aufbrechen und bezahlen.

Bitte die Rechnung!
Doch wir haben sie ohne den Wirt gemacht:
Ich habe euch eingeladen,
sagt der und lacht, soweit die Erde reicht:
Es war mir ein Vergnügen!
(Lothar Zenetti)
So großzügig bewirtet uns Gott mit seiner Schöpfung.

„Con grande animo – mit einem großen Geist“ (Ignatius)
Großzügig solle einer sein, der „die Übungen“ macht,
sagt Ignatius, und “liberal“, freigebig (liberalidad).
Wie bedrückend ist ein kleinlicher Mensch, ein Kleingeist.
Wie schön ein großzügiger Mensch mit einer weiten Seele.

Wahrnehmung der Fülle an Leben (Übung 1)
Auch wenn manches fehlt - wie viel ist mir geschenkt:
Elternhaus, Ausbildung, Beziehungen, Einkommen,
mitteleuropäisches Klima, funktionierendes Staatswesen;
Und nicht auch der Glaube des Evangeliums Jesu Christi?
Dies könnte man sich jeden Tag ein wenig bewußt machen.

Großzügigkeit Einüben (Übung 2)
Jeden Tag ein paar mal diskret großzügig sein:
Mit guten Worten, mit Zeit, Geld, Aufmerksamkeit.
Ein bißchen mehr tun als wir „unbedingt“ tun müssen.
Von der Großzügigkeit lebt die Welt.

Willi Lambert SJ
aus http://www.jesuiten.org/seelsorge/exerzitien/betrachtungen

Einübung ins Bitten




Bitten verboten!
Eine Anweisung des Verkehrsamtes von New York im Jahr 2000:
U-Bahn-Schaffner dürfen nicht mehr „Bitte einsteigen!“ sagen,
sondern nur noch „Einsteigen!“.-Man könne so Zeit sparen.
Zeit gespart – aber vielleicht Menschlichkeit verloren.
Zauberwort „Bitte!“
Die Bitte ist oft wie ein Schlüssel zu Menschenherzen.
Sicher gibt es Menschen, die „unerbittlich“ sind.
Oft öffnen sich aber durch ein „Bitte! Menschentüren.

Einen Hund anbetteln
„Auf allen Vieren werde ich einem kleinen Hund nachlaufen
und ihn anbetteln, wenn es mir hilft!“
So elend ging es einmal Ignatius; er dachte an Selbstmord.
Er konnte nur noch schreien, betteln und beten.
Bitten als Schlüssel des Menschseins
Bitten sagt vieles vom Menschen, vom Menschsein:
Ich bin bedürftig. Ich kann nicht alles allein erreichen.
Ich vertraue auf Dich. Ich darf vertrauen.
Bitten ist Einüben und Ausüben von Menschsein

Einübung ins Bitten (Übung 1)
Nicht mehr und nichts weniger als dies:
Gebrauchen Sie bewußt und freundlich den Zauberschlüssel „Bitte!“
Lassen sie das Gegenüber frei.
Schauen Sie, wie es Ihnen dabei geht.
Und wie, wenn sie um etwas gebeten werden...!

Die sieben Vater-unser-Bitten (Übung 2; Matthäus 6,5-15)
Täglich einmal das „Vater unser“ ganz aufmerksam beten.
Es gibt Ihnen sieben Bitten und kann Leben verändern:
„Vater unser, der du bist im Himmel; geheiligt werde Dein Name;
Dein Reich komme; Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden;
unser tägliches Brot gibt uns heute
und vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unsern Schuldigern;
und führe uns nicht in Versuchung; sondern erlöse uns von dem Bösen;
denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit; in Ewigkeit. Amen“
„Bittet, dann wird euch gegeben...“ (Matthäus 7,7 ff.)

Willi Lambert SJ
aus http://www.jesuiten.org/seelsorge/exerzitien/betrachtungen

Glauben



Glauben im Kühlwagen
Ein Mann steigt auf dem Bahnhof in einen Kühlwagen.
Unerwartet fährt der Zug los. Man findet den Mann – tot.
Auf Zetteln hat er Schrecken, Frieren, Todesangst notiert.
Makaber ist: Die Kühlung war gar nicht eingeschaltet!
Ob die Geschichte wahr oder nur gut erfunden ist, sie sagt:
Unsere Beziehung zum Leben ist vom Glauben geprägt.

Was glaube ich von der Welt und vom Leben ?
Daß mit dem Tod alles aus ist? Daß alles sinnlos ist?
Daß auf keinen Menschen Verlaß ist.
Daß man zum Rätsel Welt sowieso nichts sagen kann?
Daß Gott selber auf seine Welt hofft? Daß er ihre Zukunft ist?
Daß wir auf unendliches Licht und Güte und Liebe hin zuleben?

„Ohne Credo kein Kredit“! (Franz von Baader)
Für die Geschäftswelt und für alltägliche Beziehungen gilt:
Ohne Vertrauen, ohne Glauben kann nichts geschehen.
Brücken bauen, Beziehungen aufnehmen, Kredit erhalten,
und selbst Aprilscherze – das geht nur mit Glauben, Vertrauen..
Daß die Heiratszeremonie „Trau-ung“ heißt, spricht für sich.
Wo spüre ich Einladung zum Vertrauen?

„Glaubhaft ist nur Liebe“ (Urs von Balthasar)
Christlicher Glaube glaubt nicht alles.
Gottlob. Es gibt Aberglaube und Glaube an jeden Unsinn.
Der Evangeliumsglaube ist ein Glaube, der auf die Liebe hofft.
Daran will sich christlicher Glaube messen lassen.
Was gehört für mich zur Mitte meines Glaubens?

Lebensfeindliche Glaubenssätze entlarven (Übung )
Wir glauben vieles, das lebensfeindlich, un-evangelisch ist.
Daß mit einem Menschen alles hoffnungslos verloren sei.
Daß ich selber minderwertig bin; daß alles perfekt sein müsse.
daß die andern schuld sind; daß Ausländer, daß Deutsche, daß...
Es lohnt sich solche lebensfeindlichen Glauben wahrzunehmen
und auf andere Botschaften, menschenfreundliche zu lauschen.
Dies braucht viel Aufmerksamkeit, Zeit, Umlernen, Um-glauben.
„Richtig“ Glauben-lernen lohnt sich für das Leben:
Wir brauchen nicht im Kühlwagen zu erfrieren.

Willi Lambert SJ
aus http://www.jesuiten.org/seelsorge/exerzitien/betrachtungen

Dienstag, 2. April 2013

Wie viel Übung braucht der Glaube?



Wenn wir das Neue Testament fragen: „Wie viel Übung braucht der christliche Glaube?“, so
erhalten wir eine erstaunlich offene, nicht festlegende Antwort. Während etwa der Islam die
Zahl der täglich zu verrichtenden Pflichtgebete vorschreibt und auch ein so entschiedener
Verfechter eines spirituellen (karmamäßigen) Individualismus wie Rudolf Steiner vom
Anthroposophen erwartet, dass er sich täglich wenigstens fünf Minuten zur Meditation
zurückzieht, und ihm dazu vielerlei konkrete Anregungen gibt, befasst sich das Neue
Testament nirgends mit der Häufigkeit oder der Quantität des Gebets und erwähnt auch keine
Weisungen zur konkreten Ausführung. Jesus, der „seiner Gewohnheit gemäß“ den
Synagogengottesdienst besuchte (Lk 4.16), über Speis und Trank die üblichen Dankgebete
sprach und an den Festwallfahrten zum Tempel teilnahm, hat wahrscheinlich – wie jeder
fromme Jude – am Morgen, Mittag und Abend gebetet. Was er jedoch betont, ist nicht die
Zahl, die Quantität, sondern die Qualität des Gebets: Es soll nicht pharisäisch zum
Prestigegewinn veräußerlicht und benutzt werden (Mt 6,6), und man soll es mit mehr
Vertrauen und weniger Worten verrichten, als es die Heiden tun (Mt 6,7). In
neutestamentlicher Zeit bürgerte sich nach jüdischem Vorbild, aber mit dem Text des
Vaterunser, das in der dritten, sechsten und neunten Stunde des Tages verrichtete Privatgebet
ein, das bereits die Didache empfiehlt – neben dem Fasten am Mittwoch und am Freitag1 –,
doch werden die Christen zu diesen Übungen nicht verpflichtet, und in der gleichen Linie
gelten für die katholische Kirche (wenn man vom Chor- und Breviergebet der Ordensleute
und Kleriker absieht) nur die wöchentliche Teilnahme an der Eucharistiefeier sowie jährlich
zwei Fasttage, nicht aber regelmäßig zu verrichtende Gebete als Pflicht.
Und wie steht es mit der Körperhaltung und der Psychotechnik beim Beten und Meditieren –
mit jenen Komponenten, die manchen östlichen Meditationsschulen so wichtig sind, und die
sie so reif entwickelt haben, dass ihre Versenkungsbemühungen einem Christen stark
methodisiert erscheinen, und dass manche westlichen Agnostiker sie aus ihrem religiösen
Kontext herauslösen und zu rein psychohygienischen Zwecken übernehmen? Das Neue
Testament spricht zwar vom Händeerheben und Kniebeugen, aber es lässt dem Beter
hinsichtlich der Einstimmungsmethode und des körperlichen Ausdrucks völlige Freiheit.
Die geistliche Überlieferung hat von Johannes Cassian über Benedikt, die Viktoriner und
Cisneros bis zu Ignatius von Loyola mancherlei methodische Hilfen und Ausdrucksformen
des Gebets entwickelt, doch kennt das Christentum keine allgemein verpflichtende
Gebetstechnik. Bezeichnenderweise bieten die Geistlichen Übungen des Ignatius von Loyola
als die wohl systematischste Anleitung zur Orientierung im Gebet dem Meditierenden
verschiedenartige Weisen der Sammlung an und empfehlen ihm, die Körperhaltung zu
suchen, die ihn je nach seiner Disposition und dem jeweiligen Betrachtungsgegenstand am
meisten fördert – „sei es kniend oder ausgestreckt auf der Erde, sei es liegend, mit dem Blick
nach oben, oder sitzend oder stehend“ (EB 76).
Der christliche Gebetsweg ist offen – damit ihn jeder suche
Die quantitative und methodische Offenheit der christlichen Gebetspraxis führt leicht zu dem
Missverständnis, es sei unwichtig, bestimmte Gebetsformen zu entwickeln und regelmäßig zu
wiederholen. Eine solche Auffassung wäre theologisch unbegründet und psychologisch
abwegig. Bibeltheologisch ist nämlich unübersehbar, dass sowohl die synoptischen
Evangelien als auch die paulinischen Schriften eine Intensität des Gebets verlangen, die ohne
Quantität und ohne Form nicht zu erreichen ist.2

Das Gebet soll so lebendig und stetig sein, dass es den Gläubigen die Schwachheit des
Fleisches überwinden und tödliche Krisen bewältigen lässt. Als Beispiel dafür schildern die
Synoptiker, wie Jesus in Getsemani zuerst „Furcht und Angst“ empfindet und seine Begleiter
zum „Wachen“ auffordert (Mk 14,32-42 par.), wie er seine Not dreimal vor dem Vater
ausspricht und durch sein Beten eine Kraft empfängt, die Lukas als Gestärktwerden durch
einen Engel verdeutlicht – die Kraft zu sagen: „Aber nicht, was ich will, sondern was du
willst, (soll geschehen)“, und die Jünger aufzufordern: „Steht auf, wir wollen gehen!“ Gebet
als intensives „Wachen“, Krisenfest-Werden und Sich-Bereitmachen für die Ankunft der
vollendeten Gottesherrschaft – das ist ein Schwerpunkt der Gebetslehre de Lukas: „Wachet
und betet allezeit, damit ihr allem, was geschehen wird, entrinnen und vor den Menschensohn
hintreten könnt.“ (Lk 21,36) Und zum Gleichnis vom gottlosen Richter und der Witwe: „Jesus
sagte ihnen durch ein Gleichnis, dass sie allezeit beten und darin nicht nachlassen sollten.“
(Lk 18,1) Die gleiche Aufforderung finden wir bei Paulus: „Betet ohne Unterlass“ (1 Thess
5,17) – ein Satz, den später die hesychastische Tradition als Grundlage für das oft und oft zu
wiederholende Jesusgebet betrachtete. Paulus praktiziert offensichtlich ein Gebet, das die
Bitte engstens mit dem Dank verbindet (Phil 4,6) und sich als Auswirkenlassen der in
Christus geoffenbarten Zuwendung Gottes versteht, streng kreuzestheologisch – ohne
Werkfrömmigkeit, Selbstrechtfertigung und Leistungsdenken.

Auf die Frage: „Wie viel Übung braucht der christliche Glaube?“ ist theologisch zu
antworten: So viel, als nötig ist, um die uns objektiv von Seiten Gottes durch Jesus
angebotene vergebende, befreiende und stärkende Nähe auch subjektiv, durch ein geeignetes
Sich-Sammeln, Wiederholen, Variieren, Aussprechen und Auf-sich-wirken-Lassen in unser
wirkliches Denken, Erlebnis und Verhalten aufzunehmen – nach den Voraussetzungen
unserer Psyche. Denn wir haben nicht die Natur von Engeln, sondern die Psyche von
Menschen. In theologischer Sicht haben Frömmigkeitsübungen „nur“ den unentbehrlichen
Sinn, uns zu helfen, dass wir dem Hauptgebot der Selbst-, Nächsten- und Gottesliebe eher
entsprechen. Die „Umkehr“ zur Gottesherrschaft (synoptisch) soll sich zu jener dauerhaften
Verbundenheit mit dem „Abba“ Jesu Christi entwickeln, zu einem (johanneisch) „Bleiben“ in
Jesus und Jesu in uns (Joh 6,56; 15,5; 1 Joh 2,6; 3,24;4,13-16), zu einem (paulinisch)
„Wandeln im Geiste“ Jesu, zum „Insein in Christus“ – bleibend „verwurzelt und auf ihn
gegründet... und überströmend von Danksagung“ (Kol 2,7). Das Wie, die konkrete Gestaltung
des Gebetsweges ist offen – wenn nur dieses Ziel angestrebt wird. Der Glaube lässt diesen
Weg nicht offen, damit wir untätig stehen bleiben, sondern damit wir ihn je individuell und in
Gruppen von Gleichgesinnten aktiv suchen.

Dem Einwand, durch methodisierte Frömmigkeitsübungen mache man sich Gott verfügbar,
ist entgegenzuhalten, dass dies nicht notwendig so ist, sondern von der Absicht abhängt, und
dass man sich beim völligen Verzicht auf Frömmigkeitsübungen das Wirken des Geistes
psychisch unvermittelt und mirakelhaft denkt – dass man dann gerade nicht „wacht und
betet“. Ein regelmäßiges Gebetsleben mit christlicher Ausrichtung ist ein Sich-Bereiten, wie
es Meister Eckhart versteht: „Gott ist sehr beflissen, allzeit bei dem Menschen zu sein... Gott
ist allzeit bereit, wir aber sind unbereit. Gott ist uns ‚nahe’, wir aber sind ihm fern; Gott ist
drinnen, wir aber sind draußen.“3 Auch den dem Hinduismus und Buddhismus
entstammenden Meditationsschulen sollten wir nicht zubilligen, dass sie den Menschen auf
die Erfahrung der Nähe des Absoluten vorbereiten wollen; nur verstehen sie dieses und die
Beziehung des Menschen zu ihm anders, nämlich undialogisch, sofern sie konsequent
monistisch und pantheistisch denken. Der häufig erhobene Vorwurf der „Selbsterlösung“
beschreibt diese Problematik wohl zu plakativ.

Wiederholung muss nicht Erstarrung bedeuten
Die christliche Theologie des Gebets gibt zwar den Inhalt und die Absicht von
Frömmigkeitsübungen vor, doch überlässt sie es der praktischen Spiritualität und der
psychologischen Reflexion jedes Einzelnen und jeder Epoche, die Wege zu suchen, auf denen
die Wahrnehmung für die Nähe Gottes verstärkt werden kann. Alles andere liefe auf eine
Ideologisierung und Kanonisierung geschichtlich gewordener und wandelbarer Frömmigkeit
hinaus. Was lehrt uns nun die Psychologie über das Aufmerksam- und Bereitwerden für die
Gegenwart Gottes? Leider können wir nicht auf eine gesicherte Theorie des emotionalen
Lernens und der Aufmerksamkeitsschulung zurückgreifen, auch sind die bisherigen
Forschungen zur Wirkung von Meditationsübungen für unsere Frage unergiebig. Doch sind
einige Hinweise möglich.

Ein erster Hinweis: In lerntheoretischer Sicht nimmt man allgemein an, dass Wiederholung
grundsätzlich zur Gewohnheitsbildung beiträgt, und zwar nicht nur bei motorischem
Verhalten (wo sich beispielsweise das Einschalten der Gänge beim Autofahren allmählich
automatisiert), sondern analog bei Denk- und Erlebnisgewohnheiten. Wenn wir regelmäßig
das Vaterunser beten, einen Psalm sprechen oder einen Choral singen, kann sich unsere
Aufmerksamkeit und emotionale Reaktionsbereitschaft mit all ihren Assoziationen leichter
auf den religiösen Gegenstand einstellen, als wenn wir dies nur gelegentlich tun, weil die dazu
nötigen gehirnphysiologischen Vorgänge sich einspielen. Widerstände und Zerstreuungen
oder Fremdheit werden leichter überwunden. Wir müssen uns nicht so lange beim Deuten des
Textes und bei der emotionalen Einstellung auf ihn aufhalten, sondern können ihn schneller
mit unserem persönlichen religiösen Erleben verbinden bzw. unser Erleben durch den
vertrauten Text oder Gesang leichter aktivieren. Wir müssen uns auch nicht je neu zu
religiöser Kommunikation aufraffen und einen Ausdruck für sie suchen: Formel und Ritus
entlasten uns bei dieser Aufgabe.

Dies übersieht man, wenn man dem verbreiteten Spontaneitätsideal folgt und das fest
formulierte ritualisierte Beten als weniger erlebnisstark betrachtet als das spontane Beten –
wie es Friedrich Heiler in seiner Studie „Das Gebet“ getan hat4. Wiederholung muss nicht
Erstarrung bedeuten, sondern kann die Konzentration und die Intensität des Erlebens fördern.
Darum bemerkt der Religionswissenschaftler Evan M Zuesse: „Obwohl es üblich wurde,
‚Ritualismus’ in einen Gegensatz zu ‚tieferer Spiritualität’ und zu Mystik zu bringen, finden
wir das Ritual in mystischen Gruppen besonders betont (in Zen-Klöstern, Sufi-Orden,
mystischen Gemeinschaften des Judentums, in Yoga-Ashrams der Hindus usw.); in solchen
Gruppen weitet sich das Ritual oft so aus, dass es jeden Augenblick des täglichen Lebens
ausfüllt. Der Leib ist offensichtlich bei der religiösen Erfahrung wichtiger, als man oft
denkt.“5

Betonen nicht auch die Eheberater, dass die Partner den Ausdruck von Gefühlen bewusst
wollen, lernen und pflegen sollten, wie man es in der Bewegung „marriage encounter“ durch
das tägliche Briefschreiben an den andern übt. Auf das Gebet übertragen und
motivationspsychologisch betrachtet heißt das: Wer nur betet, wenn es ihn spontan dazu
drängt, kennt bald nur noch den gelegentlichen Hilferuf in Angst und Not und vielleicht noch
die Bitte um Vergebung nach schwerer Verfehlung. Not lehrt beten – aber nur in Not. Die
weniger selbstbezogenen theozentrischen Motive, die sich nicht so dranghaft und spontan
melden, obwohl auch sie erfüllend sind – das Suchen der rechten Entscheidung in sozialen
Verantwortungssituationen, der Dank, der Lobpreis und die Anbetung: alles, was das
Vaterunser in den ersten drei Bitten nennt, entwickeln sich nur dann, wenn man ihnen durch
regelmäßige Übung Raum dazu gibt.



Oft beten wir an unseren emotional bedeutsamen Erfahrungen vorbei
Allerdings lehrt die Erfahrung auch, dass die Wiederholung unfruchtbar, leer und sinnlos
werden und Überdruss erzeugen kann. Vielleicht können folgende Hinweise solche
Fehlentwicklungen erhellen. Wiederholung führt nicht zur biblisch vorgezeichneten
Verbundenheit mit dem Vater unseres Herrn Jesus Christus, sondern eher zum Kreisen um
das eigene Ich, wenn sie ihre Übungen in zwangsneurotischer Gewissensangst und
Skrupulösität vollzieht. Ebenso verfehlt sie ihr Ziel, wenn sie in narzistischem Leistungs- und
Tugendstolz vor allem das Gefühl eigener Größe und Vollkommenheit sucht.6 Wiederholung
verursacht Überdruss, wenn sie Menschen – beispielsweise Jugendliche, die noch nicht in ein
intensives Gebetsleben hineingewachsen sind – mehr Ausdrucksformen vollziehen lässt, als
sie vom Entwicklungsstand ihres religiösen Erlebens her ausfüllen können, sodass sie häufige
Gottesdienste, lange Gebete und nicht enden wollende Kirchenlieder als nicht mehr
nachvollziehbares Zuviel empfinden.

Wiederholung bleibt fruchtlos und wird zum Leerlauf, wenn sie zu wenig „Selbstverstärkung“
vermittelt, das heißt nur intellektuelle Wiederholung von Bekanntem bietet, aber zu wenig
emotional bedeutsame Motive anspricht. Das Verweilen bei einer biblischen Aussage oder
das Wiederholen des Vaterunser, eines Psalms oder eines Chorals wird und bleibt nur dann
lebendig, selbstverstärkend, wenn sich der Übende sozusagen da abholt, wo er emotional
steht, und wenn er die vorgegebenen Formen und Formeln immer wieder persönlich
aktualisiert, sie mit dem Schwerpunkt ausfüllt, der gerade seiner Ansprechbarkeit und seiner
Lebenssituation entspricht. (Dazu eignen sich offene, ausdeutbare Texte besser als eng und
pointiert formulierte.)

Ein Trauernder wird beim wortlosen Meditieren oder beim Sprechen eines Gebets etwas
anderes betonen müssen als jemand, der gerade vom Glück einer gelingenden Partnerschaft
oder der Geburt eine Kindes erfüllt ist. Wer zu Versagens- und Zukunftsangst neigt, wird in
seinem Meditieren und Beten das Vertrauen in Gott mehr aktivieren müssen als ein
notorischer Optimist und dementsprechend bestimmte Kernsätze, Erzählungen und Bildworte
der Bibel bevorzugen und in seine Bemühungen um mehr Gelassenheit einbauen. Wer
überstreng oder überbehütet erzogen wurde und eher die Schwächen als die positiven
Eigenschaften an sich wahrnimmt, sollte sich diesen Mangel an Selbstwertgefühl bewusst
machen und auch aus seinem Meditieren und Beten den Anstoß beziehen, an seiner
Selbstwertschätzung zu arbeiten – so wie eine Studentin im Laufe von gruppenpädagogisch
ausgerichteten Besinnungstagen diese Problematik bei sich erkannte und dann feststellte: „Ich
habe das Gefühl, dass ich erstmals verstehe, dass Gott mich liebt.“ Wenn das Erlernen eines
positiveren Selbstwertgefühls eine wichtige Entwicklungsaufgabe ist, aber nicht als solche
erkannt und nicht mit dem Gebetsleben verbunden wird, bleiben die einschlägigen und
aufbauenden Aussagen der Bibel – „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen“ (Jes 40,43);
„So sehr hat Gott die Welt geliebt...“ (Joh 3,16); „Wenn ihr betet, so sprecht: Vater...“ (Lk
11,2) – rein intellektuell übernommene Überzeugungen, die emotional wirkungslos und
nichtssagend sind. Ebenso ergeht es den biblischen Ermutigungen zur Nächstenliebe, wenn
der Beter für seine Möglichkeiten und Verantwortlichkeiten sozialen Handelns nicht
sensibilisiert ist.

Wie wenig geht von der biblischen Frohbotschaft auch bei fleißig übenden Christen ein in die
reale Angst- und Trauerbewältigung, in die für das Lebensgefühl nicht minder wichtigen
Selbstbewertungsprozesse und in das prosoziale Empfinden und Verhalten. Wie viel bleibt
psychisch wirkungslos. Darum sollte man zu Beginn von Rüstzeiten, Meditationstagen oder
Exerzitien, aber auch in Gebetsgruppen und Bibelkreisen die nötige Zeit für die
Bewusstmachung von Entwicklungsaufgaben, Positiverfahrungen, Problemen und sozialen
Herausforderungen nehmen. Die Teilnehmer sollen nicht nur – wie so oft – abstrakt guten


Willen und erhebende Stimmung mobilisieren, sondern auch erkennen, wo sie diese Kräfte
konkret investieren können. Alle Gebetspraxis muss, um lebendig und emotional bedeutsam
zu bleiben, wichtige Motive, Erlebnisbereitschaften, Entwicklungsaufgaben und soziale
Herausforderungen bewusst machen und ansprechen, das heißt, die zumeist überlieferten
Texte daraufhin aktualisieren.
Psychotechniken unterstützen das Gebet, sie machen es nicht
Über diese motivationspsychologischen Bedingungen und Wege hinaus gibt es weitere
Hilfen, die die Wahrnehmung der Gegenwart Gottes intensivieren können. Man kann sie als
Psychotechniken bezeichnen, sofern man diese nicht deterministisch als Mechanismen,
sondern offener als Erleichterungen unserer Gebetsbemühungen versteht. Sie unterstützen den
Gebetskontakt, sie machen ihn nicht. Ihre Wirkung deutet man am plausibelsten von den vier
Komponenten aus, die – nach der Überzeugung der meisten neueren Emotionstheorien – zu
einer Emotion gehören:

- Der subjektive Gefühlszustand (Trauer, Freude u.a.) – die Erlebenskomponente.
- Kognitive Prozesse wie Bewertungen, Bewältigungsstrategien, Erwartungen usw.
- Die Verhaltens- und Ausdruckskomponente (Gestik, Mimik, Stimme).
- Die physiologische Komponente: Blutdruck, Herz- und Atemfrequenz.
Es ist zu vermuten, dass religiöses Erleben (so wie anderes auch) von diesen vier
Komponenten her gefördert werden kann.7

Von der Erlebenskomponente her kann man die emotionale Reaktionsbereitschaft und
Aufmerksamkeit durch folgende Maßnahmen steigern.
Einstimmung: Der Leiter eines Gebetskreises betont vielleicht eingangs, man solle jetzt nicht
diskutieren, sondern sein Herz sprechen lassen, oder Ignatius von Loyola lädt in den
Exerzitien den Meditierenden ein, „nicht das Vielwissen, sondern das Empfinden und
Verkosten der Dinge von innen her“ (EB 2) zu suchen, und ähnlich sind jeder Gottesdienst
und jeder Meditationstag auf eine gefühlsbereite Atmosphäre angewiesen. Psychologisch:
Man lockert für eine bestimmte Zeit die kritische Distanz, Ich-Zensur, Abwehr und
Willenssteuerung des gewöhnlichen Alltagslebens, um unbefangener Gefühle aufsteigen zu
lassen und sich ihnen hinzugeben.

Stille: Man zieht sich in die Einsamkeit und Stille zurück oder fügt Stillepausen in den
Gottesdienst ein, um die Außenreize zu reduzieren und die Aufmerksamkeit von ihnen weg
auf die Innenwelt der eigenen Gedanken und die Emotionen zu lenken, die sie auslösen.
Konzentration: Man kann die Aufmerksamkeit und die emotionale Reaktionsbereitschaft auf
einen einzigen Inhalt fokussieren und damit steigern, indem man eine Aussage regelmäßig
gedanklich wiederholt, um länger bei ihr zu verweilen und den Gedanken- und
Vorstellungsstrom wieder zu ihr zurückzulenken, wenn er abschweifen möchte. Diese
Mantra-Technik setzt man nicht nur im hinduistischen Namajapa und im buddhistischen
Nembutsu, sondern auch beim christlichen Stoßgebet und beim Rosenkranz ein. Bei letzterem
betet man bekanntlich fünfmal zehn Ave Maria und betrachtet bei jeder Zehnerreihe ein
„Geheimnis“ aus dem Leben Jesu, das man in die Ave Maria einfügt. Beim privaten
kontemplativen Beten des Rosenkranzes kann es auch hilfreich sein, statt der herkömmlichen
„Geheimnisse“ persönliche Meditationsimpulse zu formulieren und zu verwenden. Man kann
auch auf vorgegebene Gebete ganz verzichten und einen Lobpreis oder eine Bitte, in die man
sich vertiefen will, in einem rhythmisch formulierten Satz zusammenfassen und diesen ohne
Hast während der gesamten Betrachtungszeit so wiederholen, dass die Aufmerksamkeit
immer neu auf ihn gelenkt wird.

Beim Jesusgebet (Herzensgebet), das der Westen aus der hesychastischen Tradition der
Ostkirchen übernahm, kommt noch eine Konzentrationstechnik hinzu: Man wiederholt nicht
nur mantraartig die gleiche Anrufung, sondern stimmt sie auch mit dem Atem (manche auch
mit dem Herzschlag) ab und spricht leise oder nur innerlich beim Einatmen: „Herr Jesus
Christus“ und beim Ausatmen: „Erbarme dich meiner.“ Hier lenkt man die Aufmerksamkeit
zuerst auf einen einfachen Reiz, nämlich den Atem- oder Herzrhythmus, um sie dann
gebündelt auf den Betrachtungsgegenstand zu richten – ähnlich wie der Hypnotiseur sie zuerst
auf den Finger fixiert.

Von der kognitiven Komponente her kann man das Erleben auf doppelte Weise steigern.
Emotionale Erwartungen aufbauen: Sie können in der Medizin zu Placebo-Wirkungen führen;
in der Spiritualität aber helfen sie, die Assoziationen und die Gefühlsbereitschaft in die
Richtung des betrachteten Inhalts und erstrebten Erlebens zu lenken und andere Einfälle
zurückzudrängen. So konzentrieren sich die Teilnehmer einer charismatischen Gebetsgruppe
auf den Geist Jesu und verdrängen aufkommende Machtphantasien oder erotische Wünsche.
Und in den Exerzitien beginnt jede Betrachtung mit der Bitte um das, „was ich (jetzt)
begehre“.

Symbolerleben anregen: Man kann einerseits ein äußeres Bild und Symbol betrachten – eine
Kerze, eine Ikone. Man kann andererseits ein inneres Bild aufbauen und bei ihm verweilen.
So haben die Psychotherapeuten K. Thomas und T.A. Ritzmann religiöse Klienten angeleitet,
den Glauben an Gott als Bild, Farbe oder Licht zu symbolisieren und diese Vorstellung in
hypnotischer Sammlung auf sich wirken zu lassen, um depressive Verstimmungen vom
Glauben her aufzuhellen. Die Exerzitien des Ignatius regen ebenfalls Imaginationen an, wenn
sie die Betrachtung von Szenen aus dem Leben Jesu mit dem „Aufbau des Schauplatzes“
verbinden. Ziel ist nicht die historische Rekonstruktion, sondern das verweilende „Schauen
und Erwägen“.

Vielleicht wirkt die Symbolbetrachtung erlebnisaktivierend, weil sie durch die Ähnlichkeit
mit visuellen Schlüsselreizen eigene frühere Erlebnisse unmittelbarer vor Augen stellt als die
distanziertere Sprache. Darüber hinaus gibt sie einem aber auch die Möglichkeit – so wie
Mantras –, länger bei einem Inhalt zu verweilen.
Von der Verhaltens- und Ausdruckskomponente her kommen vor allem zwei Möglichkeiten
in Frage, um das Erleben zu unterstützen:

Körperhaltungen und Gesten – etwa Händefalten, Kreuzzeichenmachen, Armeausbreiten oder
Sichverneigen. Nicht dass sie automatisch Gefühle hervorrufen würden, doch laden sie dazu
ein, mehr Gefühl zuzulassen und die angebotene Ausdrucksform mit ihm zu erfüllen. Sie
können auch einer vorhandenen Gefühlsbereitschaft den Ausdruck erleichtern.
Gesang und Musik: Ihre Wirkung ist noch weithin unerforscht. Bestimmte Formen von
Gesang und Musik wirken unmittelbar stimulierend oder beruhigend, freudig oder traurig. So
können sie auch sinnvoll und erlebnisanregend mit religiösen Inhalten und Texten verbunden
werden. Dies setzt allerdings religiöse Erlebnisbereitschaft voraus. Denn man kann
beispielsweise Weihnachtslieder oder Meditationsmusik hören und sich unter Verzicht auf
jeden religiösen Bezug mit ihrer beruhigenden Stimmung begnügen.

Von der physiologischen Komponente her könnte religiöses Erleben auf folgende Weise
beeinflusst werden: die bewusste Kontrolle des Atemrhythmus, wie sie etwa im Raja-Yoga
gebt wird, könnte – wie die „Resonanzdämpfung der Affekte“ im autogenen Training –
helfen, beginnende Affektspannungen aufzulösen und die religiöse Sammlung vor Störungen
zu bewahren.

Bernhard Grom SJ

Erschienen in: entschluss 49 (1994), H. 5, 9-17 (gekürzt).


1 R. Kaczynski, Das Gebet der Christen, in: S. Ben-Chorin/R. Kaczynski/O. Knoch, Das Gebet bei Juden und Christen, Regensburg 1982, 53-80.
2 Siehe dazu W. Ott, Gebet und Heil. Die Bedeutung der Gebetspraxis in der lukanischen Theologie, München
1965; K. Berger, Gebet (NT), in: Theologische Realenzyklopädie (TRE), Berlin 1984, Bd. 12, 47-60; R.
Gebauer, Das Gebet bei Paulus, Gießen 1989.
3 Meister Eckhart, Predigt zu Lk 21,31.

4 F. Heiler, Das Gebet, München 1923 (5. Aufl.).
5 E.M. Zuesse, Ritual, in: Eliade, M. (Hrsg.), The encyclopedia of religion, London 1987, Bd. 12, 505-522.
6 Siehe dazu B. Grom, Religionspsychologie, München-Göttingen 1992, 252-269.

7 Vgl. dazu und zum folgenden B. Grom, Religionspsychologie, München-Göttingen 1992, 252-269.


Sonntag, 17. März 2013

Körperhaltungen und Zeit in ihrer Bedeutung für das Gebet



Aus dem Exerzitienbuch des hl. Ignatius von Loyola

Es gilt, zwei Extreme in der Gebetshaltung zu vermeiden: einen Meditationssitz zum Dogma
zu erklären und zu einer Haltungslosigkeit zu zerrinnen. Ignatius bringt im Exerzitienbuch
(EB) Nr. 76 folgenden Hinweis: „In die Betrachtung eintreten, bald kniend, bald auf der Erde
ausgestreckt, bald auf dem Rücken mit dem Gesicht nach oben, bald sitzend, bald stehend,
indem ich stets auf der Suche nach dem bin, was ich will. ... Wenn ich kniend das finde, was
ich will, werde ich nicht weitergehen; und wenn ausgestreckt, ebenso usw.“

Hier gilt ein einziges Kriterium: Die Haltung, die mir mehr zum Gebet hilft, die soll ich einnehmen. Man
muss sich nur hüten, haltungslos zu werden und die Haltung dauernd zu verändern. Letzteres
kann zum Zeitvertreib werden, wenn zum Beispiel die Betrachtung sehr mühsam verläuft.
Ignatius rät auch, dass man nach dem Zubettgehen, wenn man bereits einschlafen will, noch
kurze Zeit den Betrachtungsstoff des folgenden Tages durchgehen soll (vgl. EB Nr. 73). Dies
hat man heute wiederentdeckt: mit positiven Gedanken einschlafen tut der Psyche gut. Ebenso
wenn man am Morgen nicht alles gleich heranlässt (z.B. die Weltnachrichten), wenn man die
Ruhe der Nacht noch für das Gebet nützt.

In EB Nr. 75 spricht Ignatius von ein oder zwei Schritten vor dem Betrachtungsort. Hier soll
ich mich in die Gegenwart versetzen. Je nach Betrachtungsstoff soll ich den Raum hell oder
dunkel halten. Beim Leiden Jesu nicht an Frohes denken und bei den Osterbetrachtungen
Freude aufkommen lassen.

Gebetshaltungen, die in allen großen Religionen gepflegt werden
Knien, Sitzen, Stehen hat jeweils eine andere Qualität. Spüren wir selbst in uns hinein, wofür
diese oder jene Haltung am ehesten geeignet ist. Knien: Verbindung mit der Erde, Erfahrung
der Kleinheit usw. Sitzen: Zuhören in Entspannung. Stehen: Wachheit, Sammlung. Falten der
Hände: Sammlung, Dasein. Ausbreiten der Hände (Orantenstellung): Erfahrung der Kraft, die
von den Händen ausgeht. Handauflegung: Übertragung von Kraft.
In der Mitte, im „Hara“ da sein: Nicht oben in den Schultern (mich festhalten), nicht formlos
zusammenfallen, sondern die Mitte als Zentrum erfahren (siehe die Ikone „Muttergottes des
Zeichens“).
Das Hinlegen auf die Erde (Prostratio) bei der Priesterweihe und am Karfreitag: darin
überlassen wir uns total der Erde und erfahren das Getragenwerden.

Zeiten für das Gebet
Der Morgen und der Abend haben eine lange Gebetstradition. Zu Beginn des Tages vor Gott
da sein ist etwas anderes als unter Zeitdruck zur Arbeit eilen. Der Abend sollte nicht mit
einem Krimi schließen, bei dem man einschläft, sondern mit der Rückkehr zu Gott, dem man
nochmals den Tag, die schönen und traurigen Ereignisse übergibt. So in den Schlaf gehen, ist
äußerst heilsam.

Eine weitere Möglichkeit entdeckte ich im traditionellen Gebetsläuten (Engel des Herrn) und
am Freitag zur Todesstunde Jesu. Was ging da vor sich? Die Gläubigen unterbrachen ihre
Arbeit und gedachten der Menschwerdung Gottes, das hieß: Jetzt lassen wir unsere Arbeit los.
Jetzt wollen wir vor Gott da sein. Wir werkeln heute oft den ganzen Tag dahin und lassen uns
von der Arbeit völlig in Beschlag nehmen. Wir haben keine Distanz von unseren Aufgaben.
Ein Mitbruder erzählte mir, dass früher die Bauern und Handwerker, bevor sie ihr Tagewerk
begannen, ein vaterunserlang innehielten.

 Beim Tischgebet wurde gemeinsam für die Gaben Gottes gedankt. Dann gab es noch die Zeit des Nachtwachens: Starb ein Nachbar, dann wurde  der Tote zuhause aufgebahrt, und die Nachbarn kamen zum Gebet herbei. Dazu gab es Brot, Salz und Most. Die Haltung beim Gebet, die Zeiten vor Gott im Alltag, in manchen Lebensabschnitten wie Taufe, Hochzeit, Begräbnis, Arbeit und Fest waren Hilfen, dass der
Alltag vom Gottesgedenken durchwirkt und von Gott leichter in allen Dingen gefunden
wurde.

Heinz Urban SJ

Erschienen in: Jesuiten. Mitteilungen der österreichischen Jesuiten 68 (1995) H.4, 14-15.

Leistung und Fruchtbarkeit



Der Herr sendet uns, um Frucht zu bringen, und zwar Frucht, die bleibt. Dazu hat er uns
erwählt und bestimmt (Joh 15,16). Dadurch wird der Vater verherrlicht (Joh 15,8;
Exerzitienbuch 23); so sind wir Jünger Jesu.

Bin ich, was ich leiste?
Fruchtbarkeit spielt in der Schrift eine große Rolle, und Jesus beschreibt das Reich Gottes
immer wieder in Bildern der Fruchtbarkeit. Das Wort Leistung scheint in der Schrift kaum
vorzukommen. Aber vielleicht merken wir das nicht so, weil wir so stark in einer
Leistungsgesellschaft aufgewachsen sind, dass wir alles spontan in Kategorien der Leistung
einordnen. Wir haben ja alle die Parole interiorisiert: "Ich bin, was ich leiste." Alles muss ich
verdienen, auch Anerkennung, Dankbarkeit, Herzlichkeit, Existenzrecht, ja sogar Liebe. In
der Kirche und im Ordensleben ist diese Mentalität ebenfalls sehr stark lebendig. Das haben
wir in unserer Ausbildung gut mitgekriegt: Die viel leisten, das sind die Guten. Wie oft habe
ich betagte Ordensleute sagen hören: "Pater, ich möchte noch gerne ein bisschen dienstbar
sein", und wie oft war das heimlich vermischt mit dem Wunsch: "Ich will noch ein bisschen
mitzählen." Hinter der Klage über die viele Arbeit und die vielen Termine steckt manchmal
auch ein gewisses Aufschneiden – dann merkt der andere wenigstens, wie wichtig ich bin. Für
viele Menschen unserer Zeit ist die Leistung fast der einzige Boden, auf dem sie stehen, ihre
Existenzberechtigung.

Die Bibel spricht eine ganz andere Sprache. Für Gott brauchen wir unser Existenzrecht nicht
zu verdienen. Er schenkt es uns, umsonst. Wir sind seine geliebten Kinder; er hat uns ins
Dasein geliebt. Er liebt uns nicht wegen unserer Leistungen, sondern mit einer
bedingungslosen, unverdienten und unverdienbaren Liebe.
Das schönste Beispiel einer ganz subtilen Leistungshaltung fand ich bei Bernardin
Schellenbergeri (Nacht leuchtet wie der Tag, Herder, 2. Auflage 1982, Seite 12), der berichtet,
wie ein alter Trappistenbruder seinem Abt anvertraut: "Die Welt würde staunen, wenn sie je
erfahren würde, wie viel Holz ich in meinem Leben gespalten habe." Alles im Konjunktiv! Er
hat sich schon damit abgefunden, dass die Welt es nie erfahren wird. Aber doch bleibt ihm der
heimliche Trost, dass sie staunen würde, wenn sie es je erfahren könnte.

Übereinstimmungen und Unterschiede
Es gibt sicher Übereinstimmungen zwischen Leistung und Fruchtbarkeit – beide erfordern
Einsatz, Anstrengung, Sorgfalt ...
Interessanter scheinen mir aber die Unterschiede. Und davon habe ich inzwischen ein
Dutzend gefunden. Die wichtigsten sind:

- Bei der Leistung will der Mensch alle Fäden in der Hand und alles im Griff haben, und
das bringt Stress und Spannung; bei der Fruchtbarkeit bleibt Raum für das Geheimnis, das
wir nicht durchschauen, sondern dem wir uns anvertrauen; das gibt Entspannung und
Zuversicht (vgl. Mk 4, 26-29).

- Fruchtbarkeit geht zusammen mit dem kontemplativen Element in unserem Leben,
während Leistung nicht gut dazu passt. In der Fruchtbarkeit und in der Kontemplation
sucht man nicht seine eigene Ehre und Erfüllung und Bestätigung, sondern man verrichtet
seine Tätigkeit wirklich als Dienst, selbstlos, in Hingabe, zur Ehre Gottes. Hier liegt
wahrscheinlich auch der springende Punkt für das "In-actione" kontemplativ sein, das
tatsächlich mit dem "Omnia ad maiorem Dei gloriam" (Alles zur größeren Ehre Gottes)
zusammenhängt.

- Die Leistung nimmt auf die Dauer ab, wenn man älter wird; die Fruchtbarkeit bleibt und
kann sogar wachsen. Ein großer und wichtiger Trost für unsere (vielen) Betagten! Vgl.
etwa Ps 92, 13-15.

- Fruchtbarkeit geschieht immer in der Weise des Weizenkorns, das in die Erde fällt und
stirbt und nur so Frucht bringen kann (Joh 12,24), in entscheidendem Gegensatz zur
Leistungsmentalität.

- Den Gegensatz zwischen Gesetz und Gnade, der bei Paulus eine so ausgeprägte Rolle
spielt, kann man in unserer Zeit und unserer Sprache übersetzen mit den Worten Leistung
und Fruchtbarkeit. Gesetz ist, was der Mensch selbst zustandebringt. Gesetz ist die
Leistung im geistlichen Leben. Der fruchtbare Mensch demgegenüber lebt aus Gnade und
weiß sehr wohl, dass das Eigentliche ihm geschenkt wird. Nicht die Aktivität rechtfertigt
uns, sondern die Rechtfertigung aktiviert uns.

- Leistung geht oft auf Kosten der Natur (Umwelt, Gesundheit, Familie oder Kommunität,
geistliches Leben). Fruchtbarkeit ist natürlich, entspricht der Natur, ist gesund, zerstört
nicht, sondern entfaltet und krönt. Das Geheimnis der Fruchtbarkeit zeigt sich dort, wo der
Mensch es aufgibt, das Leben zu beherrschen, und das Wagnis eingeht, das Leben sich
entfalten zu lassen.

- Die Fruchtbarkeit im Reich Gottes ist oft nicht messbar und lässt sich manchmal nicht
vorzeigen, während Leistung sehr stark am Messen und Vergleichen orientiert ist. Die
Leistungsgesellschaft ist oft rücksichtslose und ungerecht gegenüber denen, die nicht
genug leisten können. Da wird viel unverdientes Leid zugefügt, in offenkundigem
Gegensatz zum Evangelium.

- Leistung ist oft ein Ausgleich für einen Mangel an Beziehung, während Fruchtbarkeit
immer Beziehung voraussetzt (Pflanzen müssen befruchtet werden, Tiere, Menschen,
geistliches Leben – vgl. Weinstock und Reben). Menschen, die bewusst oder unbewusst
an Einsamkeit oder Isolation leiden, flüchten leicht in Leistung, um auf diese Weise ihrem
Leben doch Inhalt und Sinn zu geben (vgl. Joh 15, 1-8).

- Fruchtbarkeit ist mehr als Effizienz. So lebt in jedem Menschen das Urbedürfnis nach
zweckfreiem Bejahtsein und der tiefe Wunsch, mehr zu sein und zu gelten als das, wozu
er dienlich ist. Wer umgekehrt seinen Selbstwert zu stark aus der Leistung schöpft, kommt
früher oder später in eine schreckliche Krise. Wer von der Leistung lebt, baut auf Sand.

- Jeder Mensch braucht ein gewisses Maß an Anerkennung und Erfolg. Unser himmlischer
Vater weiß, dass wir das brauchen (Mt 6, 32f). Er wird es uns auch besorgen. Wir müssen
es nicht ängstlich suchen! Wir müssen nicht versuchen, uns das selbst zu verdienen. "Euch
muss es zuerst um das Reich Gottes und die Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles
andere dazugegeben." Es tatsächlich von ihm erwarten, auch wenn es einmal eine
Durststrecke gibt, macht evangelische Menschen.

- Die Leistungsmentalität wählt andere Prioritäten und Aktivitäten als der
Fruchtbarkeitsglaube. Welche falschen Akzente setzen wir in unserem Apostolat und
Lebensstil, weil wir zu sehr leistungsorientiert sind?

- Leistung macht einseitig und verdrängt gewisse Werte. Sie baut auf eigene Kraft und
klammert die schwachen Seiten aus. Sie ist leicht zu zielstrebig. Fruchtbarkeit lässt Gottes
Kraft auch in unserer Schwäche zum Zuge kommen und kann darum das Leben ehrlicher
und großzügiger annehmen.
Es gibt Männer und Frauen, die viel leisten, aber wenig Frucht bringen, und umgekehrt.
Für den Aufbau des Reiches Gottes ist es wichtig, sich an Fruchtbarkeit – als Inhalt und
Methode – zu orientieren, und nicht an Leistung.

Piet van Breemen SJ

Erschienen in: entschluss 54 (1999) H.1, 4-5
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Entscheidungen – einsam oder gemeinsam?



Die Chancen einer geistlichen Entscheidungsfindung in Gemeinschaft

Das 2. Vatikanische Konzil versuchte, in seinem „aggiornamento“ die Kirche für neue gesellschaftliche
Bewegungen zu öffnen. Dazu gehörte auch die Einsicht, dass das hierarchische
Organisationsprinzip der Kirche nicht alleine stehen darf. Kirche ist immer auch als „communio“
zu verstehen, als Gemeinschaft der Glaubenden. Wir glauben, dass der Heilige Geist in allen
Gliedern der Kirche am Werk ist.

Dieses Kirchenverständnis hat große Auswirkungen auf die Entscheidungsstrukturen. Während
im 19. Jahrhundert die Entscheidungsvollmacht der Amtsträger und der Entscheidungsprimat des
Papstes zentrale Punkte des Kirchenbildes waren, wird seit ca. 30 Jahren versucht, möglichst
viele Gläubige an Entscheidungen zu beteiligen. Auf allen Ebenen der Kirche – vom Pfarrgemeinderat
bis zur Bischofssynode – sind Beratungs und Entscheidungsstrukturen mit starker
Partizipation der Basis entstanden.

Bei aller Öffnung für demokratischere Strukturen und für gemeinsame Wege zur Entscheidung
weiß inzwischen jeder, dass auch in den neuen Strukturen nicht alles glatt läuft. Denn wenn
einfachhin das demokratische Mehrheitsprinzip gelten soll, dann gibt es Unterlegene und Verlierer.
Wenn so lange palavert werden soll, bis alle sich einig sind, kommt man oft an kein Ende.
Wenn in wichtigen Fragen die Letztentscheidung beim kirchlichen Amtsträger bleibt, kann ein
Gremium sich bald überflüssig fühlen. Durch die Möglichkeit einer Partizipation an Entscheidungen
ist meistens noch nicht viel gewonnen; wichtig ist, wie solche Entscheidungen zustande
kommen. Die ignatianische Methode der geistlichen Entscheidungsfindung in Gemeinschaft
kann dazu eine gute Hilfe bieten.

Den Willen Gottes suchen

In den Geistlichen Übungen (Exerzitien) des Ignatius von Loyola läuft vieles auf die „Wahl“
hinaus: der Übende wird auf einem Bekehrungs und Nachfolgeweg an einen Punkt geführt, an dem er ehrlich beginnt zu fragen: „Herr, was willst du, dass ich tun soll?“ Diese Frage nach dem Willen Gottes für das eigene Leben gilt als das Herzstück der Exerzitien. Einfach ausgedrückt verläuft der Prozess so: Nach einer ersten Phase der Reinigung von seinen Sünden beginnt der Übende um innere Vertrautheit mit Jesus zu beten, um ihm besser nachfolgen zu können. Eine solche Bereitschaft zur Nachfolge – aus Liebe und Sympathie zum Herrn – kann sich einstellen, wenn jemand über viele Tage hinweg das Leben Jesu betrachtet. Dabei reflektiert und betet er auch über anstehende Entscheidungen im eigenen Leben. Diese Betrachtungen und Reflexionen lassen in ihm ein Gespür dafür reifen, was mehr der Lebenshaltung Jesu entspricht. Dieses Gespür nennt Ignatius Unterscheidung der Geister.

Die eigenen Motive („Geister“) werden im Blick auf eine anstehende Entscheidung daraufhin überprüft, ob sie im Einklang sind mit der Lebenshaltung Jesu oder nicht. Das innere Gefühl einer solchen Übereinstimmung nennt Ignatius„geistlichen Trost“. Und aus eigener Erfahrung war er überzeugt, dass jemand mittels solcher
Unterscheidungs und Entscheidungsprozesse den Willen Gottes für sein Leben finden kann.
Die ersten Gefährten des Ignatius waren durch die Exerzitien und den Umgang mit den alltäglichen
Fragen in dieser geistlichen Unterscheidung erprobt. Als schließlich 1539 die Frage anstand,
ob sie als Gefährten zusammenbleiben sollten, trafen sie sich zu Beratungen in Rom.

Diesmal sollte es um eine gemeinsame „Wahl“ gehen. Sie standen vor der Aufgabe, einen gemeinsamen
geistlichen Entscheidungsprozeß zu gestalten, gemeinsam nach dem Willen Gottes
zu suchen. Dieser Suchprozess dauerte mehrere Monate. Die Gefährten fanden zu völlig neuen
Beratungs und Entscheidungsmethoden. Und das Resultat, nämlich der Beschluss einen neuen
Orden zu gründen, kann wirklich als Ergebnis einer gemeinsamen Unterscheidung der Geister
angesehen werden. Dieser Vorgang der „Beratung der ersten Gefährten“1 hat Geschichte
gemacht und wird heute immer wieder als Modell für einen geistlichen Entscheidungsprozeß in
Gemeinschaft herangezogen.

Doch auch die Jesuiten haben dieses geistliche Instrument der ersten Gefährten über Jahrhunderte
kaum eingesetzt. Erst der Generalobere P. Pedro Arrupe SJ hat 1971 in einem Brief an
den ganzen Orden dazu aufgerufen, die Chancen einer gemeinsamen geistlichen Entscheidungsfindung
wieder mehr zu nutzen. Seitdem gibt es viele neue Erfahrungen damit und auch eine
Menge Literatur zu diesem Thema2.

Gemeinsam entscheiden – wie geht das?

Bei Entscheidung, die gemeinsam getroffen werden sollen, treten häufig folgende Probleme auf:
1. Manch einer kommt mit vorgefassten Entscheidungen in die Beratung und blockiert dadurch
alle anderen. 2. Sympathie, Antipathie und andere Affekte in den Beziehungen beeinflussen
wesentlich das Resultat. 3. Leute, die gut auftreten können, dominieren die Szene, die Stillen
werden überrollt. 4. Es kommt bald zu Fraktionsbildungen, und diese lassen sich nicht mehr auflösen.
5. Man einigt sich schließlich auf irgendeinen Kompromiss, hinter dem aber niemand
richtig steht und der deshalb auch nicht umgesetzt wird.

Die Vorgehensweise bei der geistlichen Unterscheidungsfindung in Gemeinschaft versucht, solche
Fallen zu vermeiden. Dabei ist die Haltung aller Beteiligten zum Entscheidungsprozeß sehr
wichtig: Will hier jeder seine Meinung und seine Interessen durchdrücken oder suchen wir gemeinsam
nach der Lösung, die wir miteinander für die bessere halten? Geistlich lässt sich diese
Frage so formulieren: Suchen wir gemeinsam nach dem, was mehr dem Willen Gottes entsprechen
könnte, oder ist hier jeder nur auf den eigenen Vorteil bedacht? Wenn ein solches
geistliches Fundament wenigstens im Ansatz vorhanden ist, kann dies dem Beratungsprozess
jene Freiheit geben, die nötig ist, um wirklich offene Fragen stellen zu können.

Dies bedeutet auch, dass jeder sich um eine gewisse „Indifferenz“ gegenüber den Wahlalternativen
bemüht. Mich indifferent zu machen, bedeutet nicht, dass mir die angebotenen Lösungsalternativen
egal sind; vielmehr heißt es, offen zu sein für verschiedene Lösungsmöglichkeiten
und sich nicht vorschnell an einer bevorzugten Lösung festzubeißen.
Um Ruhe und Klarheit im Beratungsprozess herzustellen, ist es nötig, zu Beginn folgende
Punkte möglichst gut zu klären: Wer darf an diesem Entscheidungsprozeß teilnehmen mit welcher
Entscheidungskompetenz? Welche Frage (möglichst präzise) steht zur Entscheidung an?
Nach welcher Vorgehensweise wollen wir diesen Prozess gestalten?

Wenn es gelungen ist, eine klare Frage zur Entscheidung herauszuarbeiten, kann der eigentliche
Prozess der geistlichen Unterscheidung beginnen. Schnelle Fraktionsbildungen können vermieden
werden, wenn zunächst gar nicht die Frage auftaucht „Wer ist für diese Lösung? Wer ist für
die andere?“, sondern wenn Gründe für und gegen jede der Wahlalternativen vorgetragen
werden. Die Gründungsväter des Jesuitenordens trafen sich jeweils am Abend zu ihren Beratungen.
An einem Abend sollten alle sich äußern zu Gründen, die für die Lösung A sprechen;
abends darauf alle Gründe gegen Lösung A. Wieder einen Tag später äußerten sich alle mit ihren
Gründen für Lösung B, tags darauf gegen Lösung B. Das bedeutete, dass schließlich jeder
Gründe für und gegen jede der Lösungsmöglichkeiten vorgetragen hatte. Dieses Vorgehen ver
schafft eine völlig neue Einstellung zu den Lösungsmöglichkeiten. Tagsüber sollte dann jeder
über die Gründe beten und reflektieren, die er von den anderen gehört hatte, und sie in seine
eigene Urteilsbildung mit einbeziehen.

Der regelmäßige Rückzug ins persönliche Gebet und die beständige Bitte an Gott, er möge uns
den besseren Weg zeigen, reduziert die Gefahr, dass eine Entscheidung zu sehr von Sympathien
und Antipathien oder persönlichen Animositäten beeinflusst ist. Außerdem hilft es, die Argumente
in der Form eines Anhörkreises vorzutragen: jeder darf seine Gründe vortragen, ohne
dabei von anderen unterbrochen oder kritisiert zu werden. Dies gibt jedem ungefähr die gleiche
Chance, seine Meinung zum Ausdruck zu bringen.

Wenn alle Argumente gehört wurden, soll jeder in der oben genannten Form der Unterscheidung
der Geister bei sich klären, für welche Lösung er sich entscheidet. Dann trägt jeder seine Entscheidung
vor. Hat man sich vorher auf ein Mehrheitsvotum verständigt, mag die Entscheidung
bald fallen. War Einstimmigkeit angezielt, ist solange fortzufahren, bis alle einer Lösung zustimmen
können. In dieser Phase ist die Aufmerksamkeit auf die „Geister“ sehr wichtig. Wenn
sich bei der gefundenen Lösung nicht so etwas wie „geistlicher Trost“ einstellt, liegt es nahe,
dass man sich auf einen faulen Kompromiss geeinigt hat; und es ist dann kaum zu erwarten, dass
es zu einer fruchtbaren Umsetzung der Entscheidung kommen wird. Kann die ganze Gruppe jedoch
in Frieden und Zuversicht zu der Entscheidung stehen, ist dies ein Anzeichen, dass sie vom
guten Geist gewirkt sein mag.

Gemeinsam entscheiden – über ein aktuelles Problem
Angenommen, eine Pfarrgemeinde erfährt, dass sie nach der Ablösung des jetzigen Pfarrers
keinen eigenen Priester mehr haben wird und dass der Nachbarpfarrer die Pfarre mitverwalten
soll. Der zukünftige Pfarrverwalter teilt dem Pfarrgemeinderat mit, dass er statt der bisherigen
drei Sonntagsmessen in Zukunft nur noch eine wird halten können. Und er bittet den Gemeinderat
um einen Vorschlag für die zukünftige Gottesdienstordnung.

Der Gemeinderat könnte sich darauf verständigen, in drei aufeinander folgenden Sitzungen eine
geistliche Entscheidungsfindung in Gemeinschaft zu versuchen (dabei muss nicht jede Sitzung
ganz mit diesem Thema gefüllt sein). In der ersten Sitzung werden einige Lösungsmöglichkeiten
andiskutiert, und man verständigt sich auf zwei oder drei Lösungen, die zur Entscheidung gestellt
werden. Bis zur zweiten Sitzung überlegt sich jeder seine Argumente für und gegen jede
der Lösungen.

Diese Argumente werden dann in einem Anhörkreis vorgetragen und vielleicht
auch danach diskutiert. Eventuell können auch zwischen den Sitzungen andere Gemeindemitglieder
eingeladen werden, ihre Meinung zu den Alternativen zu äußern. In der dritten Sitzung
wird dann nach einer Gebetsstille eine Entscheidung getroffen. Solch eine Vorgehensweise
verspricht eher eine konstruktive gemeinsame Lösung, als wenn man sich in einer Sitzung zuerst
die Köpfe heiß redet und dann am Schluss entnervt abstimmt.

Franz Meures SJ

1„Beratung der ersten Gefährten“, in: Ignatius von Loyola, Geistliche Übungen und erläuternde Texte, hg. von
P. Knauer, Leipzig 1978, 317326.
2 Einige Titel seien genannt: Peter Köster, Entscheidung als geistlicher Prozeß. Ordensnachrichten 1992.
Sonderreihe Dokumentation, Heft 9.Franz
Meures, Gottes Willen suchen gemäß dem Ziel unserer Berufung.
Zum Prozeß einer geistlichen Entscheidungsfindung in Gemeinschaft. In: Korrespondenz zur Spiritualität der
Exerzitien 40 (1990), Heft 56, 2948.
ders.,
Geistliche Prozesse in Gruppen. In: ebd. 46 (1989), Heft 69, 331.
Friedhelm
Hengsbach, Apostolische Unterscheidung in Gemeinschaft eine
Inspiration für die katholischen
Sozialverbände. In: M. Sievernich/ G. Switek (Hg.), Ignatianisch, Freiburg 1990, 569583.
Marianne
HeimbachSteins,
Unterscheidung der Geister –Strukturmoment christlicher Sozialethik, Münster 1994.
Erschienen in: entschluss 52 (1997), H. 12, S. 2325.

Sonntag, 3. März 2013

Gott in allen Dingen suchen und finden


Das „Gott-Suchen-und-Finden-in-allen-Dingen“ wird oft als zentrales Merkmal der
ignatianischen Spiritualität angesehen1. Darum lohnt es sich, der Frage nachzugehen, was
denn bei Ignatius selbst darunter zu verstehen ist. Ein in diesem Zusammenhang oft zitiertes
Wort stammt von Jeronimo Nadal, einem engen Mitarbeiter des Heiligen: „Wir wissen, dass
[unser] Vater Ignatius die einzigartige Gnade vom Herrn empfangen hatte, mit der
Kontemplation der heiligsten Dreifaltigkeit frei beschäftigt zu sein und in ihr zu ruhen. … Als
in besonderer Weise Auserwählter empfing Vater Ignatius diese Art des Gebets als großes
Privileg. Darüber hinaus auch jenes [Privileg], in allen Dingen, Handlungen, Gesprächen
Gottes Gegenwart und die Wirkung der geistlichen Dinge zu spüren und zu betrachten, im
Tun zugleich kontemplativ (simul in actione contemplativus) – er pflegte dies so zu erklären:
Gott sei in allen Dingen zu finden.“2 Bei Ignatius selbst, so macht Nadal deutlich, bedeutet
das eine echte mystische Begnadung, das Geschenk der Gottesschau im Alltag.

Ein Weg für alle
Schon für Ignatius (und ebenso für Nadal) ist diese Gebetsweise aber eine Möglichkeit und
ein Auftrag für alle (damals für alle Jesuiten, heute für alle, die in der ignatianischen
Spiritualität beheimatet sind). So findet sich in den Konstitutionen der Gesellschaft Jesu die
Aufforderung an die Ordensstudenten, „in allen Dingen Gott unseren Herrn zu suchen“.3 In
einem Brief an den portugiesischen Jesuitenstudenten Antonio Brandão, den Juan de Polanco,
der Sekretär des Ignatius, in seinem Auftrag geschrieben hat, wird dies näher erläutert: Weil
während des Studiums neben dem Besuch der Messe, einer Stunde Gebet und der
Gewissenserforschung an jedem Tag sowie Beichte und Kommunionempfang alle acht Tage
keine langen Meditationen möglich sind, können die Studenten sich „darin üben, die
Gegenwart unseres Herrn in allen Dingen zu suchen, wie im Umgang mit jemand, im Gehen,
Sehen, Schmecken, Hören, Verstehen und in allem, was wir tun … Und diese Weise zu
meditieren, indem man Gott unseren Herrn in allen Dingen findet, ist leichter, als wenn wir
uns zu den abstrakteren göttlichen Dingen erheben und uns ihnen mühsam gegenwärtig
machen.“4

Wie geht das?
Die Basis des Gott-Findens-in-allen-Dingen ist Gottes Wirken in der Welt. Bevor wir uns
aufmachen, Gott zu suchen und zu finden, hat er uns bereits in allen Dingen gesucht und
gefunden. Die Welt ist Gottes und seiner Gegenwart voll – und dies gilt es wahrzunehme
und glaubend zu erkennen. In der Betrachtung zur Erlangung der Liebe5 des Exerzitienbuchs
etwa fordert Ignatius auf zu „schauen, wie Gott in den Geschöpfen wohnt“, zu „erwägen, wie
Gott sich in allen geschaffenen Dingen auf dem Angesicht der Erde für mich müht und
arbeitet, das heißt sich in der Weise eines Arbeitenden verhält, in den Himmeln, Elementen,
Pflanzen, Früchten, Herden usw., indem er Sein gibt, erhält, belebt und wahrnehmen macht“.
Gott in allen Dingen zu suchen und zu finden, das scheint trotz all des bislang Gesagten aber
leichter gesagt als getan. Mystische Gnaden sind nicht jedermann/frau gegeben, und auch das
gläubige Bekenntnis der Gegenwart Gottes in der Welt führt noch nicht zur erspürten Nähe. In
gewisser Weise ist das aber gar nicht notwendig. Denn für Ignatius bedeutet „Gott in allen
Dingen finden“ zunächst und vor allem „in allen Dingen den Willen Gottes tun“. Ignatius als
Mystiker des Dienstes geht davon aus, dass die Mitarbeit am Aufbau des Reiches Gottes in
die Nähe Gottes führt (ob ich dies nun spüre oder nicht). Dies schließt die Bereitschaft ein,
sich um eine „rechte/gerade Absicht“ zu bemühen, d.h. sich von unlauterer Eigenliebe zu
befreien und rein aus Liebe zu handeln. Gott in allen Dingen zu suchen und zu finden, ihm
nahe sein zu wollen und nahe zu sein, meint deshalb ignatianisch, ihm um seinetwillen in den
Menschen zu dienen.

Thomas Neulinger SJ
 
Erschienen in geist.voll 4/05.1 Zu diesem Thema vgl. STIERLI Josef: Das ignatianische Gebet. „Gott suchen in allen Dingen“, in:
Ignatius von Loyola. Seine geistliche Gestalt und sein Vermächtnis. 1556-1956, hg. v. WULF
Friedrich, Würzburg 1956, 3-32; J. Sudbrack weist nach, dass das Gott-Finden-in-allen-Dingen an sich
ein Gemeingut christlicher Spiritualität ist - vgl. SUDBRACK Josef: „Gott in allen Dingen finden“. Eine
ignatianische Maxime und ihr metahistorischer Hintergrund, in: GuL 65 (1992), 165-186.
2 Hieronymus Natalis: Annotationes in Examen (1557), Nr. 80f [MHSI 90, 162]; vgl. NICOLAU Miguel:
What Nadal Meant by ‚Contemplativus in actione’, in: CIS 8 (1977), Nr. 25, 7-16.
3 Satzungen 288, zit. nach IGNATIUS von Loyola: Gründungstexte der Gesellschaft Jesu, übers. von
Peter Knauer, Würzburg 1998.
4 Brief vom 1. Juni 1551, zit. nach IGNATIUS von Loyola: Briefe und Unterweisungen, übers. von
Peter Knauer, Würzburg 1993, 346—353, hier 350; hier wird auch deutlich, dass das Gott-Finden-inallen-
Dingen keinesfalls einen Ersatz oder gar einen Gegensatz zu regelmäßigem Gebet und zum
Besuch des Gottesdienstes meint; vgl. auch den Brief an Urbano Fernandes (Rom, 1. Juni 1551),
ebd., 341-345, bes. Nr. 6/344.5 IGNATIUS von Loyola: Geistliche Übungen, übers. u. erl. v. Peter Knauer, Graz, 3. Aufl. 1988, Nr.
230-237.

Glossar



Ad amorem
Lateinische Bezeichnung für die Betrachtung zur Erlangung der Liebe.

Agere contra
Wenn ein Autoreifen platzt oder ein Auto auf glatter Straße ins Schleudern kommt, dann gilt es
entsprechend kräftig oder behutsam "gegenzusteuern". Dieses Gegenlenken gibt es auch auf der
"Straße" des menschlichen Lebens. Ignatius spricht in diesem Sinn von "agere contra", davon,
"dagegen zu handeln", als eine bewusste Gegenbewegung zu machen. Ignatius weiß, dass der
Mensch nie von allen seinen Schlagseiten, seinen "ungeordneten Neigungen" frei wird. Dies zeigt
eine sehr bezeichnende Korrektur im Exerzitienbuch. Ignatius hat in einem ihm selbst vorliegenden
Exemplar den Text "keine ungeordneten Neigungen zu haben" eigenhändig korrigiert in: "um sich
durch keine ungeordneten Neigungen bestimmen zu lassen."
Wer in seinem Leben gegensteuern möchte, tut gut daran zu wissen, wo seine ganz persönlichen
Schlagseiten und Schwachpunkte liegen. Wer normalerweise zuviel redet oder zuviel trinkt oder
zuviel arbeitet oder zu vorsichtig ist, dem hilft es gegenzusteuern, indem er im Zweifelsfall lieber
ein Wort zu wenig sagt, ein alkoholfreies Bier trinkt, einen arbeitsfreien Tag verbringt, ein offenes
Wort riskiert. (nach Willi Lambert)
 
Anmerkungen
Die sogenannten Anmerkungen (lat. Annotationes) stehen am Anfang des Exerzitienbuches (EB 1-
20). In ihnen finden sich Hinweise für das Geben und Machen der Geistlichen Übungen und zum
Wesen von ignatianischen Exerzitien.

Anwendung der Sinne
[Dazu findet sich ein Artikel in der Bibliothek.]

Betrachtung zur Erlangung der Liebe
Diese Betrachtung ist die Letzte, die sich im Exerzitienbuch findet (EB 230-237). Als Abschluss der
Dreißigtägigen Exerzitien fasst diese Übung den Prozess der vier Wochen zusammen und zeigt auf,
wie einerseits die ganze Schöpfung von Gottes Liebe und Wirken durchwaltet ist, und wie
andererseits wir Menschen angesichts dieser Zuwendung Gottes zu ebenso vorbehaltloser Liebe
gerufen sind.

Christ-Königs-Betrachtung
Siehe „Ruf des Königs“

Contemplativus in actione
[Siehe dazu in der Bibliothek den Artikel „Gott suchen und finden in allen Dingen“.]

Exerzitien
Exerzitien wollen in das eigene Leben mehr Klarheit bringen, den Menschen neu auf Gott hin
ausrichten und bei Lebensentscheidungen und Orientierungssuche helfen.
So wie es Übungen (lat. Exercitia) für den Körper gibt, gibt es auch „Geistliche Übungen“ für Seele
und Leib, wie etwa verschiedene Formen und Weisen von Gebet, Betrachtung, Meditation,
Körperübungen u. ä.

Unter „Exerzitien“ wurden ursprünglich jene geistlichen Übungen verstanden, welche Ignatius von
Loyola in seinem „Exerzitienbuch“ vorgelegt hat. Heute werden Exerzitien als ignatianische,
benediktinische, franziskanische, kontemplative Exerzitien u. v. m. angeboten.
Sie finden als Einzelexerzitien, Gruppenexerzitien, Vortragsexerzitien, Exerzitien im Alltag u. a. m.
statt.

Wesentliche Elemente von Exerzitien sind: persönliche Gebetszeiten, Stille und eventuell Gespräche mit einer Begleiterin oder einem Begleiter.
Ignatianische Einzelexerzitien sind eine bewährte Möglichkeit, die je eigene Gottesbeziehung zu
vertiefen und Lebensentscheidungen – wenn sie anstehen – vor Gott zu treffen. Dabei werden die
persönlichen Lebenssituationen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aufgegriffen und die
Übungen auf diesem geistlichen Weg individuell angepasst. Grundlage dafür ist das Exerzitienbuch
des Ignatius. Die sogenannten „Großen Exerzitien“ dauern dreißig Tage.

Häufiger sind kürzere Formen von zumeist sechs bis zehn Tagen Dauer, in durchgängigem
Schweigen, mit drei bis vier persönlichen Gebetszeiten an jedem Tag. Inhalt des täglichen
Gesprächs mit der/dem Begleiter/in ist der je eigene Weg vor und mit Gott.
Ignatianische Einzelexerzitien werden für Einzelne (nach Vereinbarung) oder als Kurs für eine
Gruppe angeboten. In einem Kurs sind in der Regel auch die Feier der Eucharistie und gemeinsame
Gebetszeiten Bestandteil des Programms. Weitere gemeinsame Elemente können sein: täglicher
(kurzer) Vortrag, gemeinsame Meditationszeiten, Angebote zur vertiefenden Körperwahrnehmung
und Tageszeitengebet.

Exerzitien im Alltag
In der Anmerkung 19 des Exerzitienbuches führt Ignatius eine Form von „Geistlichen Übungen“ an,
bei der der Exerzitant/ die Exerzitantin sich nicht in Abgeschiedenheit zurückzieht, sondern diese
Übungen einige Wochen oder Monate im Alltag, parallel zu den üblichen Beschäftigungen macht.
Lange Zeit vergessen, wurde diese Form vor einigen Jahren wieder entdeckt und ist heute unter dem
Namen „Exerzitien im Alltag“ in unterschiedlichsten Weisen verbreitet.

Formula Instituti
Der Ausdruck „Institut der Gesellschaft Jesu“ bezeichnet einerseits die Lebens- und Arbeitsweise
der Jesuiten und andererseits die schriftlichen Dokumente, in denen diese Lebens- und Arbeitsweise
verbindlich beschrieben ist. Eine zentrale Stellung unter den Dokumenten nimmt die sogenannte
„Formula Instituti“ ein, die ursprüngliche „Regel“ des Jesuitenordens, die zuerst 1540 von Papst
Paul III. und dann 1550 von Papst Julius III. bestätigt worden ist.


Gebet der liebenden Aufmerksamkeit
[Siehe Einheiten 6 und 7]

Geistliches Tagebuch
Im Zusammenhang mit der Abfassung der Satzungen des Jesuitenordens setzte sich Ignatius
intensiv mit der Frage auseinander, welche Armutsbestimmungen gelten sollten. Dabei feierte er die
Messe und legte die Frage, mit der er rang, Gott im Gebet vor. In dieser Zeit notierte er jeden Tag,
was dabei in seiner Seele vorging. Diese privaten Aufzeichnungen, die mit dem 2. Februar 1544
beginnen und mit dem 27. Februar 1545 enden, bestehen im Original aus 27 Blättern und enthalten
Überlegungen zur Sache und Beschreibungen der mystischen Erfahrungen, die Ignatius in dieser
Zeit machte.

Geistliche Übungen
Siehe Exerzitien

Gesellschaft Jesu
Deutsche Übersetzung des offiziellen lateinischen Namens für den Jesuitenorden, Societas Iesu.
Gott in allen Dingen suchen und finden
[Dazu findet sich ein Artikel in der Bibliothek.]

Ignatianisch/ Jesuitisch
Als ignatianisch wird etwas dann bezeichnet, wenn es auf Ignatius und seine Spiritualität
zurückgeht. Jesuitisch hingegen ist etwas dann, wenn es für den Jesuitenorden charakteristisch war
oder ist.
Anders gesagt: Alles Jesuitische ist ignatianisch, aber nicht alles Ignatianische ist auch jesuitisch.
So gibt es heute zahlreiche Orden und Gemeinschaften, die unabhängig von der Gesellschaft Jesu
aus der ignatianischen Spiritualität leben.

Ignatianische Einzelexerzitien
Siehe Exerzitien

IHS
Das Christusmonogramm IHS entstand durch die verkürzte Schreibweise des Namens „Jesus“ in
Griechisch mit den Großbuchstaben IHC (für JES). Bei der Übernahme in den lateinischen
Sprachraum wurde dann daraus IHS. Bereits vor Ignatius und dem Jesuitenorden verbreitet, wird
diese Buchstabenkombination in einer speziellen Form zum „Signet“, zum Logo der Gesellschaft
Jesu: als IHS mit einem Kreuz über dem Mittelstrich des H, drei Nägeln unter dem IHS und
umgeben von einer Strahlensonne.

Indifferenz
Ignatianische Indifferenz heißt, persönliche Vorlieben, Bindungen und vorgefasste Meinungen
aufzugeben, um offen für Gottes Willen zu sein, wenn es um das Treffen einer Entscheidung geht.

Iñigo
Ignatius von Loyola wurde auf den Namen Iñigo (nach dem spanischen Heiligen Enecus) getauft,
änderte aber später seinen Namen in Ignatius – vermutlich aufgrund seiner Verehrung für den hl.
Ignatius von Antiochia.
 
Kirchlichkeit
Ignatius und seinen ersten Gefährten war die Verbindung mit dem Papst und der Dienst an der
katholischen Kirche ein Herzensanliegen. Auch im Exerzitienbuch finden sich Regeln für das
„Fühlen mit der Kirche“ (EB 352-370). Dies gilt bis heute – so sagte die 34. Generalversammlung
des Ordens 1995: „Im Dienst für den Herrn und seine Braut, die Kirche, das Volk Gottes, sind wir
besonders verbunden mit dem Papst, um uns zu den Aufgaben senden zu lassen, die er uns
anvertraut. Als Männer der Kirche können wir nicht anders, als mit der Kirche zu denken, geleitet
vom Geist des auferstandenen Herrn.“

Zugleich erklärte diese Generalversammlung: „Wenn unsere Liebe zu Christus – die nicht zu
trennen ist von unserer Liebe zu seiner Braut, der Kirche – uns drängt, in jeder Situation Gottes
Willen zu suchen, dann kann diese Liebe uns auch verpflichten, konstruktive Kritik zu üben, die
getragen ist von geistlicher Unterscheidung im Gebet.“

Kolloquium
Siehe Zwiegespräch

Kontemplation
[Dazu findet sich ein Artikel in der Bibliothek.]

La Storta
In einer Kapelle dieses Dorfes nahe bei Rom hatte Ignatius 1537 eine Vision: Er sah Christus mit
dem Kreuz auf der Schulter und Gottvater neben ihm. Der Vater sagte zum Sohn: „Ich will, dass du
diesen als meinen Diener annimmst.“ Jesus sprach zu Ignatius: „Ich will, dass du uns dienst.“ In
einem Bericht ist auch zu finden, dass Gott zu Ignatius sprach: „Ich werde euch in Rom gnädig
sein.“ – Ignatius meinte dazu: „Vielleicht werden wir in Rom gekreuzigt werden.“ Für Ignatius und
die ersten Gefährten stellte diese Vision eine göttliche Bestätigung des eingeschlagenen Weges und
ihrer Gemeinschaft dar.

Magis (lat. für „Mehr“)
Das typisch ignatianische Mehr ist ein Mehr an persönlicher Beziehung zu Gott und zu Christus, ein
Mehr der Ausrichtung des eigenen Lebens auf Gott hin, ein Mehr des Engagements in der Welt.
Siehe auch den Artikel „Das ‚Mehr’ bei Ignatius“ in der Bibliothek.

Manresa
In diesem kleinen nordspanischen Dorf lebte Ignatius zehn Monate lang (1522/23). Dieser
Aufenthalt war für ihn eine Zeit der geistlichen Reifung (nach dem ersten Enthusiasmus, der auf
dem Krankenbett in Loyola begonnen hatte). Von einer übertriebenen Askese fand er zu einer
persönlichen Gottes- und Christusbeziehung und wurde vom einzelgängerischen Eremiten zum
Seelsorger.

Meditation
[Dazu findet sich ein Artikel in der Bibliothek.]

Misstrost
Ignatius schreibt: „Ich nenne Misstrost/ Trostlosigkeit ... Dunkelheit der Seele, Verwirrung in ihr,
Regung zu den niederen und irdischen Dingen, Unruhe von verschiedenen Bewegungen und
Versuchungen, die zu Unglauben bewegen, ohne Hoffnung, ohne Liebe, wobei sich die Seele ganz
träge, lau, traurig und wie von ihrem Schöpfer und Herrn getrennt findet.“ (EB 317)
Eine Erklärung dazu findet sich in Einheit 3.
 
Omnia ad maiorem Dei gloriam
In Büchern, auf Bildern und Bauwerken, die mit den Jesuiten verbunden sind, finden sich oft die
Worte „Omnia ad maiorem Dei gloriam“ oder die Abkürzung OAMDG – zu deutsch: „Alles zur
größeren Ehre Gottes“. Ignatius war es wichtig, dass die Gesellschaft Jesu und die einzelnen
Jesuiten all ihr Tun und Handeln immer mehr auf Gott und seine Ehre ausrichten (wobei die Ehre
Gottes darin besteht, dass unter allen Menschen Glaube, Hoffnung und Liebe wachsen und dass
Friede und Gerechtigkeit sich durchsetzen). So wurde diese Formulierung zum Motto des
Jesuitenordens.

Praesupponendum
Eine Voraussetzung für das Geben und Machen von Exerzitien, die zugleich eine Anregung für den
Umgang mit der Meinung anderer im Alltag darstellt, führt Ignatius im sogenannten
Praesupponendum an: „Damit sowohl der, der die geistlichen Übungen gibt, wie der, der sie
empfängt, mehr Hilfe und Nutzen haben, ist vorauszusetzen, dass jeder gute Christ bereitwilliger
sein muss, die Aussage des Nächsten zu retten, als sie zu verurteilen; und wenn er sie nicht retten
kann, erkundige er sich, wie jener sie versteht, und versteht jener sie schlecht, so verbessere er ihn
mit Liebe; und wenn das nicht genügt, suche er alle angebrachten Mittel, damit jener, indem er sie
gut verstehe, sich rette.“ (EB 22)

Prinzip und Fundament
Das sogenannte „Prinzip und Fundament“ ist ein Text im Exerzitienbuch, der eine „Vision“ für das
Leben enthält. Hinter den trockenen Worten mit ihrem logischen Aufbau verbirgt sich eine
Lebenserfahrung des Ignatius: die Ausrichtung auf Gott und auf den Dienst für ihn erfüllt uns und
hilft uns, zu wachsen, zu reifen, unseren Weg zu finden.

Der Text lautet: „Der Mensch ist geschaffen, um Gott, unseren Herrn, zu loben, ihm Ehrfurcht zu
erweisen und zu dienen und mittels dessen seine Seele zu retten; und die übrigen Dinge auf dem
Angesicht der Erde sind für den Menschen geschaffen und damit sie ihm bei der Verfolgung des
Ziels helfen, zu dem er geschaffen ist. Daraus folgt, dass der Mensch sie soweit gebrauchen soll, als
sie ihm für sein Ziel helfen, und sich soweit von ihnen lösen soll, als sie ihn dafür hindern.

Deshalb ist es nötig, dass wir uns gegenüber allen geschaffenen Dingen in allem, was der Freiheit
unserer freien Entscheidungsmacht gestattet und ihr nicht verboten ist, indifferent machen. Wir
sollen also nicht unsererseits mehr wollen: Gesundheit als Krankheit, Reichtum als Armut, Ehre als
Ehrlosigkeit, langes Leben als kurzes; und genauso folglich in allem sonst, indem wir allein
wünschen und wählen, was uns mehr zu dem Ziel hinführt, zu dem wir geschaffen sind.“ (EB 23)

„Der Ruf des Königs“ – Betrachtung
Ignatius verwendete als Kind seiner Zeit und als Adeliger die Bilder und Vorstellungen, die ihm
vertraut und die aufgrund seiner Herkunft von Bedeutung für ihn waren. In der Betrachtung vom
Ruf des Königs (EB 91-99) geht er von der idealen Beziehung zwischen König und Vasall aus und
schildert, wie der König ruft und auffordert, in seinen Dienst zu treten, in einen Dienst, in dem Herr
und Diener bereit sind, das Leben zu geben für den anderen, in dem keiner den anderen verlässt, sie
das gleiche Los teilen, die gleiche Nahrung, den gleichen Kampf, den gleichen Triumph usw.
Diese Vorstellung wird dann auf Jesus übertragen, der seine Jünger ruft, eine solche Lebens- und
Schicksalsgemeinschaft mit ihm einzugehen. Diese Einladung verlangt nach einer Antwort, nach
der Bereitschaft, sie anzunehmen und sich aktiv für die Nachfolge Jesu zu entscheiden.

Satzungen
Ab 1541 schrieb Ignatius an den Satzungen (auch Konstitutionen), ab 1547 in enger
Zusammenarbeit mit seinem Sekretär Juan de Polanco und in Rücksprache mit der Gruppe der
ersten Gefährten, mit denen zusammen er die Gesellschaft Jesu gegründet hatte. Nach seinem Tod
wurden sie von der ersten Generalversammlung 1558 als „Grundgesetz“ des Jesuitenordens in Kraft
gesetzt. Die Satzungen verbinden die geistliche Erfahrung der Exerzitien mit nüchternen
Rechtsvorschriften – sie sind Gesetzestext und spirituelles Werk in einem.

Die Satzungen bestehen aus dem sogenannten „Examen (generale)“, das früher den Bewerbern vor
der Aufnahme vorzulegen war, und den eigentlichen Satzungen. In zehn Teilen legen diese die
Bedingungen für die Aufnahme in den Jesuitenorden fest und nennen die Entlassungsgründe für
ungeeignete Bewerber. Sie regeln die geistliche Formung und wissenschaftliche Ausbildung der
jungen Jesuiten und deren endgültige Eingliederung in den Orden durch Gelübde und die
Verpflichtungen, die sich daraus ergeben. Des Weiteren sind Vorschriften über die apostolischen
Arbeiten der Ordensmitglieder enthalten, über ihre Beziehungen untereinander und ihr Verhalten
gegenüber den Oberen. Abschließend folgen die Aufgaben des Generaloberen und Anweisungen
zur Erhaltung des guten Zustands des ganzen Ordens.

Societas Jesu
Aus Verehrung für Jesus und seinen Namen wählten Ignatius von Loyola und seine ersten
Gefährten für ihre Gruppe den Namen „Gesellschaft Jesu“, lateinisch „Societas Jesu“, abgekürzt SJ.

Trost
Dazu sagt Ignatius: „Überhaupt nenne ich Trost/ Tröstung alle Zunahme an Hoffnung, Glaube und
Liebe und alle innere Freudigkeit, die zu den himmlischen Dingen ruft und hinzieht und zum
eigenen Heil seiner Seele, indem sie ihr Ruhe und Frieden in ihrem Schöpfer und Herrn gibt.“ (EB
316) Eine Erklärung dazu findet sich in Einheit 3.

Unterscheidung der Geister
Im Exerzitienbuch finden sich zwei Zusammenstellungen von Regeln, um die Geister zu
unterscheiden (EB 313-327 und EB 328-336). Eine Darstellung und Erklärung dieser Regeln findet
sich in Einheit 2 und 3 des Kurses.

Wahl
Ein Ziel von Exerzitien ist es, „den göttlichen Willen .... zu suchen und zu finden“ (EB 1), mit
anderen Worten: eine Antwort auf die Frage zu finden, was Gott will, dass die Exerzitantin/ der
Exerzitant in und mit ihrem/ seinem Leben tut.
Diesen Klärungs- und Entscheidungsprozess bezeichnet Ignatius als Wahl. Das wichtigste Mittel
dabei ist die Unterscheidung der Geister; im Rahmen von dreißigtägigen Exerzitien ist die Wahl
Bestandteil der zweiten Woche.

Woche
Die dreißigtägigen Exerzitien, wie sie das Exerzitienbuch vorsieht, sind in vier Wochen eingeteilt,
d.h. in vier Abschnitte, die jeweils ungefähr eine Woche dauern (eine Verkürzung oder
Verlängerung ist abhängig von dem persönlichen Weg der Exerzitantin/ des Exerzitanten).
Thema der ersten Woche ist das Böse in der Welt, die Verstrickung des Menschen in Sünde und
Schuld sowie die Vergebung und Annahme durch Gott. In der zweiten Woche geht es um Jesus und
sein Leben bis hin zur Passion, die dritte Woche ist dem Kreuz und dem Tod Jesu gewidmet, die
vierte Woche schließlich der Auferstehung des Herrn.

Zwei Banner-Betrachtung
Diese Besinnung in der zweiten Woche der Exerzitien (EB 136-148) ist von Bildern und
Vorstellungen geprägt, die heute für manche Menschen schwer zugänglich sind. Ignatius spricht
von zwei Feldlagern, das eine in der Gegend von Jerusalem, versammelt um das Banner Christi, das
andere in der Gegend von Babylon unter dem Banner Luzifers.

Hinter diesem Bild steht die Einsicht, dass das Reich Gottes in unserer Welt auf Widerstand stößt,
dass es angesichts dieses Widerstands Einsicht in die Kräfte braucht, die im Leben der Nachfolge
Christi entgegenstehen, sowie die Bereitschaft, sich gegen diese Kräfte zu entscheiden und den Weg
Jesu, den Weg der Wahrheit, der Demut und der Gewaltlosigkeit zu gehen.
Zusätze Sie sind eine Sammlung von Hinweisen und Ratschlägen für die Gebetszeiten in den Geistlichen
Übungen, die Ignatius im Exerzitienbuch zusammengestellt hat (EB 73-90).

Zwiegespräch
Das Zwiegespräch (auch Kolloquium genannt) ist der vorletzte Abschnitt einer Gebetszeit, wie sie
das Exerzitienbuch vorschlägt: ein Gespräch mit Gott-Vater, Christus und Maria über die
Einsichten, die Anliegen, die Regungen im Herzen usw., die der Beterin/ dem Beter in der Zeit der
Besinnung oder Betrachtung gekommen sind.

Sonntag, 24. Februar 2013

In Richtung Gott


„Großer Gott und zurück“
So stand es wirklich auf einem Bus vor dem Bahnhof Innsbruck;
„Großer Gott“ ist ein Ortsteil der Stadt.
Ortsverkehr mit Gott? Möchten wir wohl manchmal haben.
Wo ist Gott? Nirgendwo? Überall? Ist er der „Fernnahe“.

 In Richtung Gott
Da ist Gott! Hier ist Gott! So ist Gott! Das will Gott!
Auch Gott-Gläubige werden oft behutsamer sprechen müssen.
Unsere Worte, Begriffe Herzbewegungen sind tastender.
Erlebnisse, Zeugnisse, Gedanken – in Richtung Gott.
Das genügt auch vielen, die uns nach Gott fragen.

Der Gott des Ignatius
Für Ignatius, den Mann von Adel, war Gott „unendliche Majestät“.
„Der je größere Gott“. - und zugleich der „Gott in allen Dingen“
Ja, von einer „Vertrautheit mit Gott“ konnte er sprechen.
Gott, der unendlich Große - und dem Atom innerlich. Gott der Ferne und der ganz Nahe.

„Gott existiert. Ich bin ihm begegnet“ (Übung 1)
So der Titel eines viel gelesenen Buches von André Frossard.
Es gibt Menschen mit Erfahrungen von Gottesberührung.
Zumeist Erfahrungen mit „unendlich....“
Unendliche Liebe, unendliches Geheimnis, unendlicher Sinn.
Kann ich so sprechen? Ist er mir begegnet? Wo und wie?
In Erfahrung von Sinn? Von Gottessehnsucht? Von Kraft?

Wie wurde mir Gott anerzogen? (Übung 2)
Erinnere ich mich wie mir Gott „beigebracht“ wurde?
Was sind altvertraute Namen, Worte und Bilder von Gott?
Haben sich meine Vorstellungen und Gefühle von Gott geändert?
Gab es Zeiten von Fragen, Zweifel, Gottferne und Wiederfinden?

Gegenprobe: Wenn Gott nicht existierte? (Übung 3)
Was würde dies für mich bedeuten?
Würde sich mein Leben ändern?

„Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser,
so lechzt meine Seele, Gott, nach dir.“ (Übung 4)
Der Psalm 42 – ein ganzer Psalm voll Gottes-Sehnsucht.

Willi Lambert SJ
aus http://www.jesuiten.org/seelsorge/exerzitien/betrachtungen

Das „Mehr“ bei Ignatius



Eine Spiritualität des Komparativs

Wenn man auf das Motto der Gesellschaft Jesu blickt, auf das „Alles zur größeren Ehre
Gottes“ (Omnia ad maiorem Dei gloriam), dann könnte man zum Schluss kommen: In der
ignatianischen Spiritualität geht es darum, alles dem Willen Gottes entsprechend zu gestalten.
Dies stimmt und stimmt doch nicht – denn das kleine Wörtchen „größer“ darf in seiner
Bedeutung nicht unterschätzt werden.

Ignatius geht es nicht einfach darum, ohne Fehl und Sünde zu handeln. Als großer Liebender
hat er den Wunsch, dem Geliebten immer näher zu kommen, immer mehr sein Leben dem
Willen Gottes entsprechend zu führen. Sprachlich macht Ignatius diesen Wunsch durch die
häufige Verwendung des Komparativs und des Wortes „mehr“ (lateinisch: magis) deutlich.
Über die Bedeutung dieser ignatianischen (und jesuitischen) Eigenart sagte die 34.
Generalversammlung des Ordens: „Unter den Kennzeichen des Jesuiten ist das ‚Mehr’ nicht
einfach eines unter anderen. Es durchdringt sie alle. Das gesamte Leben des Ignatius war eine
pilgernde Suche nach dem ‚Mehr’, der immer größeren Ehre Gottes, dem immer
umfassenderen Dienst am Nächsten, dem allgemeineren Wohl, den wirksameren
apostolischen Mitteln.“ Es ist dies eine Suche, die es auch heute (und nicht nur von Jesuiten)
zu unternehmen gilt. Wegweiser sind dabei vor allem die inneren Regungen, der geistliche
Trost und Misstrost, über die Gott uns seinen Willen erkennen lässt.

Jedoch muss man auch sehen, dass mit der ständigen Suche nach dem „Mehr“ eine Gefahr
eng verbunden ist: die der Überforderung und eines falschen Leistungsdenkens. Der Meinung
zu sein, es entspräche dem ignatianischen „Mehr“, immer mehr zu arbeiten, immer mehr
Stunden dem Dienst an Gott und den Menschen zu widmen, ohne die eigenen Grenzen zu
beachten – dies wäre ein falsches Verständnis des hl. Ignatius.
Denn worum es geht, das ist Qualität, nicht Quantität. Das Ziel ist eine immer intensivere
Gottesbeziehung, eine immer tiefere Liebe zu den Nächsten, eine Nachfolge Jesu, die uns
hilft, ihm, dem Menschen für Gott und die anderen, immer ähnlicher zu werden.

P. Thomas Neulinger SJ
Aus: G&G. Zeitschrift des Forums Glaube und Gerechtigkeit. Freundeskreis der Jesuiten Nr. 1/ 2001, 3.

Ignatius paradox

oder: Worauf es ankommt

Worauf kommt es an im Reich Gottes? Was könnte die Haltung sein, in der Menschen beim
Aufbau des Reiches Gottes mitmachen sollten? Wie hütet man sich dabei vor den Extremen
eines falschen Gottvertrauen und eines unerleuchteten Übereifers?

Sicher ist, dass wir immer wieder bei Jesus in die Schule gehen müssen, um zu lernen, worauf
es ankommt. Er erteilt seinen Leuten mit Worten und noch mehr durch das Beispiel seines
Lebens und Sterbens die Lektionen, die ihnen so schwer in die Köpfe und in die Herzen
wollen: über den Glauben und das Vertrauen, über das Danken und das Bitten, über das
Dienen und das Verzeihen, über die Freude und das Kreuztragen, über Selbstlosigkeit und
Freiheit, über Gottesund
Nächstenliebe, über Reden und Tun, über Kämpfen und Gewaltlosigkeit,
über Umkehr und missionarischen Geist, über Vorwärtsstürmen und Wartenkönnen,
über Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, über Toleranz und Entschiedenheit, über
Tod und Auferstehung ...

Einer aus den vielen, die die Lektionen Jesu gut gelernt haben, ist der heilige Ignatius von
Loyola. Auf ihn geht ein Wort zurück, an dem sich ein wichtiger Aspekt des Handelns im
Reiche Gottes verdeutlichen lässt. Das Wort gibt es in verschiedenen Varianten.
Gewöhnlich wird das Wort in der griffigeren und selbstverständlicheren Form benutzt, etwa
so: „Handle so, als ob alles von dir, nichts von Gott abhinge. Vertraue so auf Gott, als ob
alles von Gott, nichts von dir abhinge.“ Aus einem solchen Wort lässt sich für das Handeln
im Reiche Gottes sicher Bedeutsames aussagen und vertiefen.
Ich möchte mich dazu aber lieber der anderen Lesart bedienen. Sie kommt mir aufregender
und provokanter vor, sogar ein wenig paradox: „Wir müssen so auf Gott vertrauen, als ob
alles von uns, nichts von Gott abhinge. Wir müssen unsere Kräfte aber so einsetzen, als ob
alles von Gott, nichts von uns abhinge.“
Richtiges Gottvertrauen: sich herausfordern lassen zum Einsatz aller Kräfte

Im ersten Teil des Spruchs „Wir müssen so auf Gott vertrauen, als ob alles von uns, nichts
von Gott abhinge“ verbirgt sich die Frage nach unserem Gottesbild. Wie vertrauen wir? Nicht
wenige Christen halten Gott – vielleicht unbewusst – für eine Art Oberzauberer. Sie trauen
ihm alle möglichen Tricks zu, durch die er mit unseren Problemen und Schwierigkeiten fertig
werden könne, ohne dass wir selbst uns groß in Unkosten stürzen müssten. „Der Papa wird's
schon richten“ mit seinem Reich. Da brauchen wir, die wir sowieso Nichtsnutze sind, doch
keine Hand zu rühren. Wir wären ja doch mit unseren eigenen Versuchen nur Stümper. Womöglich
könnte man eine solche Haltung noch als religiöse Tugend ausgeben, weil sich darin
ein Gottvertrauen zeigen würde, das ihm alles in die Hände legt. Das alles ist fast richtig und
doch haarscharf daneben. Die Hände in den Schoß zu legen ist nicht die Art, in der man Gott
die Ehre gibt.

In der ersten Hälfte des Spruchs ist vielmehr gesagt, dass Gott durch uns wirken will. Er hat
uns ja nicht in eine Unmündigkeit geschaffen. Er schenkt dem menschlichen Geschöpf
Verstand und Freiheit. Diese Gaben sind gegeben, um sie zu gebrauchen. Es ist keine
schlimme, überhebliche Sache, aktiv zu sein. Gott ruft uns in die Verantwortung, wie es im
Gleichnis von den Talenten (Mt 25,1430
par) gesagt ist. Das größte Vertrauen auf Gott hat
der, der sich von ihm herausfordern lässt zum Tun. Die geschenkte Freiheit will umgemünzt
sein in Dienst. Es geht darum, dass uns Gott gebrauchen möchte, im Namen Jesu seine Gedanken
in dieser Welt zum Aufleuchten zu bringen. Taugliche Werkzeuge sollen wir sein zu
seiner größeren Ehre. Unser Engagement soll helfen, ihn zu suchen und zu finden. Das Vertrauen,
das Gott in uns setzt, sollen wir nicht enttäuschen durch Nichtstun.

Das läuft manchen unseren Lieblingsideen zuwider. Zwar sind wir gerne aktiv, aber in
eigenen Diensten. Unser Habenwollen, unser Geltenwollen und unser Obenaufseinwollen
sind mächtige Antriebe. In der Arbeit für das Reich Gottes aber stehen nicht Egoismen,
Angeberei und Ausbeutung auf dem Programm. Gott hat uns vielmehr dazu befreit, Menschen
für andere zu sein. Wir sind gerecht gemacht, um sensibel zu werden gegen Unrecht
und für Gerechtigkeit in der Welt, besonders im Einsatz für die, denen übel mitgespielt wird.
Wir sind eingeladen, Versöhnung zu üben, weil wir selbst, obwohl Sünder, Versöhnung
erfahren dürfen.

So wie es die Versuchung gibt, mit Berufung auf Gott alles ihm zu überlassen, so gibt es auch
in der „Welt“ viele, die uns einreden wollen, alles ihnen zu überlassen. Sie versuchen, uns
beizubringen, dass sie die Profis seien: Der Kirche würde es ja doch an Kompetenz fehlen,
wenn sie sich um die vorletzten Dinge kümmert (die Dinge dieser Welt nämlich, die in den
Augen der Profis die einzig wichtigen sind). Kümmert ihr Christen euch um die Letzten
Dinge, da richtet ihr mit eurer Naivität oder eurem Fanatismus keinen Schaden an. Also zurück
mit euch in die Sakristei oder ins fromme Gebet! Aber von den Geschäften der Welt
lasst gefälligst die Finger.

Auch kirchenintern kann man des „Horizontalismus“ verdächtigt werden. Man unterstellt damit
eine flache Mitmenschlichkeit, eine Beschäftigung mit vermeintlichen Nebensachen wie
sozialer Arbeit (so direkt sagt man es nicht, aber in diese Richtung geht es). Auch von daher
entsteht noch einmal die Tendenz, sich in die Nischen einer folgenlosen Frömmigkeit und
einer spirituellen Bravheit zurückzuziehen. Auf Gott vertrauen heißt, sich senden zu lassen,
heißt, sich vom Geist Gottes antreiben zu lassen, diese Welt zu verändern, wo sie auf ihrer
Gottesverweigerung beharrt. Auf Gott vertrauen heißt, sich einzumischen mit aller Kraft, damit
der Wille Gottes geschehe nicht nur im Himmel, sondern auch auf Erden.
Richtiges Tun: sich herausfordern lassen, Gott alles in die Hände zu legen

Der zweite Teil des Spruches („Wir müssen unsere Kraft aber so einsetzen, als ob alles von
Gott, nichts aber von uns abhinge“) wendet sich gegen die allzuständigen totalen Macher, die
genau zu wissen scheinen, was es mit dem Reich Gottes auf sich hat, und die überzeugt sind,
dass ohne ihre Aktivitäten alles zusammenbrechen müsste.

Bei der Mobilisierung unserer Kräfte geht es aber weder um einen Fortschritt um jeden Preis
noch darum, dass der Mensch sich als letzte Instanz aufspielen müsste. Wenn er sich durch
nichts und niemanden bremsen lässt, kommt es eher zu Horrorszenarien als zum Kommen
des Reiches Gottes. Ein totaler Macher weiß sich über ethische Bedenken erhaben. Rücksicht
auf die Schwachen nimmt er nicht wirklich. Der gute Zweck heiligt dann auch schlechte Mittel.
Wer sich selbst zum Maß aller Dinge macht, verliert jedes Maß und ist bereit, über diejenigen
Gewalt zu bringen, die seine Maßstäbe nicht teilen. Ein leidvolles Kapitel in der Geschichte
auch des Christentums führt zur schrecklichen Erkenntnis, dass Religion und Gewalt
nahe beieinander liegen können, wenn man Gottes Auftrag missversteht, sich die Erde untertan
zu machen oder Menschen zu missionieren. Wer in seinem Tun Gott vergisst – mag er
ihn auch noch so groß im Mund führen (oder auf dem Koppelschloss) –, handelt nicht mündig
oder befreit oder verantwortlich, sondern willkürlich und zerstörerisch.

Worum es geht, ist vielmehr Folgendes: Wir dürfen uns Gott verdankt wissen, der uns in aller
Liebe zuvorgekommen ist. Das kann die Verbissenheit aus unseren Aktionen nehmen. Wir
müssen nicht meinen, dass das Reich Gottes nicht gelingt, wenn wir nicht eigenhändig und
sofort alles reparieren, was schief geht. Wir Menschen brauchen nicht den Kopf zu verlieren
und hysterisch zu werden, wenn wir bei manchen Entwicklungen, die immer bedrängender
werden, nicht mehr weiter wissen. Unsere Antwort auf die Herausforderungen muss nicht in
immer größerer Hektik bestehen.

Wer sich in seinem Sinnen und Trachten von Gott gehalten weiß, braucht nicht verbiestert
umherzulaufen, als ob er ganz persönlich an allem Elend der ganzen Welt schuld sei. Er muss
in seiner Freudlosigkeit auch nicht ein ständiger Vorwurf sein für die anderen, die den Ernst
der Lage noch nicht begriffen haben und deswegen nicht ständig mit Leichenbittermiene herumgehen.
Man soll schon alles tun, aber im Glauben, dass der Herrgott letzte Instanz bleibt
und dass er uns in Treue zugetan bleibt trotz des Unheils, das wir in dieser Welt vorfinden
und an dem wir oft selbst mitwirken. Es braucht uns nichts von dem, was hier los ist, zu Tode
zu ängstigen.

Wer in Gott verankert ist, kann gelassen seinen Dienst tun. Gerade weil die Welt für die
Christen nicht das Letzte und Höchste ist, können sie angemessen ihren Weltdienst leisten in
nüchterner Tapferkeit.
So kann schließlich eine Haltung entstehen und immer mehr wachsen, die engagierten Ernst
und heilige Sorglosigkeit in fruchtbringender Spannung zu kombinieren weiß. Keine schlechte
Mischung, wie mir scheint, damit das Reich Gottes komme.

Vitus Seibel SJ
Aus: entschluss 52 (1997), H.11, 2527.