Die Demut –
Eine gescholtene, aber doch so notwendige Tugend
Eigentlich müsste ich jetzt über den Krieg schreiben. Fernsehen, Zeitungen, Radio und Internet sind ja gerade voll davon. Der amerikanische Präsident George W. Bush hat es sich nicht nehmen lassen, seine Soldaten in den Irak einmarschieren zu lassen, um Diktator Hussein zu stürzen. Nach ein paar Monaten wurde dann dieser Krieg offiziell für beendet erklärt, aber wenn man die Nachrichten aus dem Irak sieht, scheint dies doch nicht ganz zu stimmen. Ja, eigentlich müsste ich jetzt über den Krieg schreiben. Ich mach es aber nicht. Ich habe nämlich beschlossen, über die vergessene, viel gescholtene und doch so notwendige Tugend Demut zu berichten. Schreib ich also doch über den Krieg?
Vom leichten Joch Jesu
In einer für mich persönlich schönsten Stelle aus dem Evangelium spricht Jesus über die Demut: „Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen ... Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen. Nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und demütig von Herzen; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. Denn mein Joch drückt nicht, und meine Last ist leicht.“ (Mt 11,25-30)
Jesus dankt Gott, dass nicht die Weisen und Klugen, die Starken und Mächtigen, die Diktatoren und Kriegsminister die Offenbarung Gottes erhalten haben, sondern die Kleinen, die Unmündigen, die Demütigen, die Kinder. Dieser Lobpreis erinnert an jene Stelle, in der Jesus ein Kind in die Mitte stellt und sagt: „Wenn ihr nicht werdet wie dieses Kind, dann könnt ihr nicht in den Himmel gelangen.“ (Mt 18,3) Dieses „Kindsein vor Gott“ ist eine erste wichtige Aussage über die Tugend der Demut. Jesus möchte, dass wir diese Tugend von ihm, der „demütig von Herzen“ ist, lernen. Und warum sollen wir das? Damit endlich der Krieg in uns und um uns herum aufhört und wir Ruhe finden für unsere Seelen. Die Kreuze, die wir zu tragen haben, werden leicht. Jesus lädt uns ein: „Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und unter Lasten stöhnt, ich werde euch Ruhe verschaffen.“ Um dieser Einladung folgen zu können, braucht es die Tugend der Demut.
Liebe ist Demut
Für den heiligen Kirchenlehrer Franz von Sales (1567-1622) hat die Demut unter den vielen Tugenden des christlichen Lebens den ersten Platz neben der Liebe. Für ihn sind diese beiden Tugenden – Liebe und Demut - eng miteinander verbunden, ja fast identisch: „Die Demut,“ so sagt er, „ist nicht nur liebevoll, sie ist auch zart und schmiegsam. Liebe ist Demut, die zur Höhe steigt, Demut ist Liebe, die sich niederneigt.“ In einer Adventpredigt hören wir seine Worte: „Nicht ohne Grund wird die Demut die Grundlage aller Tugenden genannt, denn ohne sie gibt es keine Tugend; und obgleich sie nicht die erste ist - die heilige Liebe und die Liebe zu Gott übertreffen sie an Würde und Wert -, so haben doch beide eine solche Anteilnahme und Verbindung miteinander, dass die eine nie ohne die andere vorhanden ist.“ Die Demut führt zum Vertrauen auf Gott und Vertrauen auf Gott führt zur Liebe. Alle anderen Tugenden sind mit der Liebe und der Demut verbunden. Wenn jemand diese zwei Tugenden nicht besitzt, dann hat er überhaupt keine echte und gediegene Tugend. Wenn aber die Seele diese beiden hat, dann werden die anderen Tugenden fast automatisch folgen.
Weg zur Demut
Wie kann ich die Tugend der Demut erlangen? Der Weg, den Franz von Sales empfiehlt, beginnt so, wie man sich das wahrscheinlich erwartet: Mach dir klar, dass du im Vergleich zur Größe und Herrlichkeit Gottes ein Nichts bist. Sieh auf deine Fehler und Schwächen und erkenne, dass du ohne Gottes Hilfe überhaupt keine Chance hast. Franz von Sales geht aber noch einen Schritt weiter, und darin unterscheidet er sich wesentlich von den Ansichten seiner Zeitgenossen. Er meint nämlich: Betrachte auch deine guten Seiten, deine Fähigkeiten und Stärken, sei dir aber bewusst, dass diese nicht aus dir selbst kommen, sondern Geschenke Gottes sind. Damit entspricht Franz von Sales ganz einer modernen Definition über die Demut, die besagt: „Demut ist Wahrheit“. Demut ist jene Tugend, die dir die Kraft gibt, dich selbst so anzunehmen, wie du bist: Deine Fehler und Schwächen ebenso wie deine Stärken. Weder vor dir selbst noch vor deinen Mitmenschen und schon gar nicht vor Gott ist es notwendig, irgendwelche Masken aufzusetzen. Der demütige Mensch lebt so wie er ist. Er hat überhaupt keinen Grund, eitel oder stolz zu sein, denn weder der Blick auf seine Fehler und Schwächen, noch der Blick auf seine Vorzüge und Talente würden einen solchen Stolz rechtfertigen.
Falsche Demut
Genau aus diesem Grund warnt Franz von Sales vor jener falschen Demut, die sich selbst nur schlecht macht. Hier erweist er sich als ganz ausgezeichneter Psychologe, der die Seele des Menschen bis ins Innerste kannte. In seinem Buch „Philothea“ schreibt er: „Wir sagen oft, dass wir nichts sind, das verkörperte Elend und das Schlechteste auf der Welt; wir wären aber sehr betroffen, wenn man uns beim Wort nähme und uns öffentlich als das hinstellte, was wir uns selbst genannt haben. Wir tun, als wären wir die Letzten und möchten ganz unten am Tisch sitzen, aber nur um leichter aufrücken zu können. Wahre Demut will nicht demütig erscheinen und äußert sich kaum in demütigen Worten. Ein wirklich demütiger Mensch hört lieber andere sagen, dass er unbedeutend, armselig und zu nichts nütze ist, als es selbst von sich zu sagen.“
Ich war einmal Zeuge eines Gesprächs, das ein Pfarrer nach seiner Predigt mit einem seiner Zuhörer führte. Er wies daraufhin, wie schwer er sich bei diesem Thema tat, dass er nicht die richtigen Worte fand und ohnehin eigentlich gar kein guter Prediger sei. Auf die Reaktion des Zuhörers war der Pfarrer jedoch nicht vorbereitet. Anstatt zu sagen, dass das ja alles gar nicht stimme, sondern die Predigt ausgezeichnet gewesen sei, gab ihm der Zuhörer recht: Ja, die Predigt war wirklich nicht so gut. Sehr schnell war dieses Gespräch beendet und der Pfarrer suchte beleidigt das Weite.
Demut ist eine unscheinbare und kleine Tugend, die aber täglich unzählige Male geübt werden kann. Am besten übt man sie, wenn man schlicht und einfach bei der Wahrheit bleibt: Ich bin so wie ich bin, nicht mehr und nicht weniger. Die Übung der Demut darf nie zur Selbstverachtung und zum völligen Misstrauen gegen sich selbst führen, denn damit würden wir das Schöpfungswerk und Heilswirken Gottes verneinen. Wir Menschen sind ja Gottes Ebenbild, wenn wir uns selbst verachten, verachten wir Gott. So schreibt daher auch Franz von Sales an eine Ordensschwester: „Die Art, wie Sie sich demütigen, ist gut. Wenn Ihre Demut Sie jedoch zu Mutlosigkeit, Unruhe, Ärger oder Melancholie führen sollte, dann üben sie eine falsche Demut, dann beschwöre ich sie, diese Versuchung zurückzuweisen.“ Wahre Demut hat eine befreiende Wirkung: Ich darf so sein wie ich bin. Demut weckt in uns ein großes Vertrauen in Gottes Liebe zu uns Menschen.
So wie ich bin
Ein demütiger Christ weiß sich als Kind Gottes. Er weiß sich von Gott beschenkt mit einer Fülle an guten Stärken und Fähigkeiten. Und er dankt Gott dafür jeden Tag.
Ein demütiger Christ weiß aber auch um seine Fehler und Schwächen, er weiß, dass er noch auf dem Weg ist. Er wird sich daher nicht zum Herren über die Menschen machen, auch wenn sie vielleicht nicht so klug, stark oder fromm sind.
Ein demütiger Christ trägt weder vor Gott, noch vor den Mitmenschen, noch vor sich selbst Masken. Er nimmt sich so, wie er ist, und gewährt auch seinen Mitmenschen die Möglichkeit, dass sie so sein dürfen wie sie sind.
Ein demütiger Christ spielt kein Theater, er spielt sich nicht auf, sondern überlässt Gott in seinem Reden, Denken und Tun und vor allem in seinem Herzen den Ehrenplatz.
FRAGEN ZUM NACHDENKEN:
Was bedeutet für mich persönlich die Tugend der Demut?
Wie versuche ich diese Tugend in meinem Leben konkret zu verwirklichen?
Wo erlebe ich mich in meinem Verhalten stolz und herrschsüchtig?
Herbert Winklehner OSFS