Sonntag, 3. März 2013
Gott in allen Dingen suchen und finden
Das „Gott-Suchen-und-Finden-in-allen-Dingen“ wird oft als zentrales Merkmal der
ignatianischen Spiritualität angesehen1. Darum lohnt es sich, der Frage nachzugehen, was
denn bei Ignatius selbst darunter zu verstehen ist. Ein in diesem Zusammenhang oft zitiertes
Wort stammt von Jeronimo Nadal, einem engen Mitarbeiter des Heiligen: „Wir wissen, dass
[unser] Vater Ignatius die einzigartige Gnade vom Herrn empfangen hatte, mit der
Kontemplation der heiligsten Dreifaltigkeit frei beschäftigt zu sein und in ihr zu ruhen. … Als
in besonderer Weise Auserwählter empfing Vater Ignatius diese Art des Gebets als großes
Privileg. Darüber hinaus auch jenes [Privileg], in allen Dingen, Handlungen, Gesprächen
Gottes Gegenwart und die Wirkung der geistlichen Dinge zu spüren und zu betrachten, im
Tun zugleich kontemplativ (simul in actione contemplativus) – er pflegte dies so zu erklären:
Gott sei in allen Dingen zu finden.“2 Bei Ignatius selbst, so macht Nadal deutlich, bedeutet
das eine echte mystische Begnadung, das Geschenk der Gottesschau im Alltag.
Ein Weg für alle
Schon für Ignatius (und ebenso für Nadal) ist diese Gebetsweise aber eine Möglichkeit und
ein Auftrag für alle (damals für alle Jesuiten, heute für alle, die in der ignatianischen
Spiritualität beheimatet sind). So findet sich in den Konstitutionen der Gesellschaft Jesu die
Aufforderung an die Ordensstudenten, „in allen Dingen Gott unseren Herrn zu suchen“.3 In
einem Brief an den portugiesischen Jesuitenstudenten Antonio Brandão, den Juan de Polanco,
der Sekretär des Ignatius, in seinem Auftrag geschrieben hat, wird dies näher erläutert: Weil
während des Studiums neben dem Besuch der Messe, einer Stunde Gebet und der
Gewissenserforschung an jedem Tag sowie Beichte und Kommunionempfang alle acht Tage
keine langen Meditationen möglich sind, können die Studenten sich „darin üben, die
Gegenwart unseres Herrn in allen Dingen zu suchen, wie im Umgang mit jemand, im Gehen,
Sehen, Schmecken, Hören, Verstehen und in allem, was wir tun … Und diese Weise zu
meditieren, indem man Gott unseren Herrn in allen Dingen findet, ist leichter, als wenn wir
uns zu den abstrakteren göttlichen Dingen erheben und uns ihnen mühsam gegenwärtig
machen.“4
Wie geht das?
Die Basis des Gott-Findens-in-allen-Dingen ist Gottes Wirken in der Welt. Bevor wir uns
aufmachen, Gott zu suchen und zu finden, hat er uns bereits in allen Dingen gesucht und
gefunden. Die Welt ist Gottes und seiner Gegenwart voll – und dies gilt es wahrzunehme
und glaubend zu erkennen. In der Betrachtung zur Erlangung der Liebe5 des Exerzitienbuchs
etwa fordert Ignatius auf zu „schauen, wie Gott in den Geschöpfen wohnt“, zu „erwägen, wie
Gott sich in allen geschaffenen Dingen auf dem Angesicht der Erde für mich müht und
arbeitet, das heißt sich in der Weise eines Arbeitenden verhält, in den Himmeln, Elementen,
Pflanzen, Früchten, Herden usw., indem er Sein gibt, erhält, belebt und wahrnehmen macht“.
Gott in allen Dingen zu suchen und zu finden, das scheint trotz all des bislang Gesagten aber
leichter gesagt als getan. Mystische Gnaden sind nicht jedermann/frau gegeben, und auch das
gläubige Bekenntnis der Gegenwart Gottes in der Welt führt noch nicht zur erspürten Nähe. In
gewisser Weise ist das aber gar nicht notwendig. Denn für Ignatius bedeutet „Gott in allen
Dingen finden“ zunächst und vor allem „in allen Dingen den Willen Gottes tun“. Ignatius als
Mystiker des Dienstes geht davon aus, dass die Mitarbeit am Aufbau des Reiches Gottes in
die Nähe Gottes führt (ob ich dies nun spüre oder nicht). Dies schließt die Bereitschaft ein,
sich um eine „rechte/gerade Absicht“ zu bemühen, d.h. sich von unlauterer Eigenliebe zu
befreien und rein aus Liebe zu handeln. Gott in allen Dingen zu suchen und zu finden, ihm
nahe sein zu wollen und nahe zu sein, meint deshalb ignatianisch, ihm um seinetwillen in den
Menschen zu dienen.
Thomas Neulinger SJ
Erschienen in geist.voll 4/05.1 Zu diesem Thema vgl. STIERLI Josef: Das ignatianische Gebet. „Gott suchen in allen Dingen“, in:
Ignatius von Loyola. Seine geistliche Gestalt und sein Vermächtnis. 1556-1956, hg. v. WULF
Friedrich, Würzburg 1956, 3-32; J. Sudbrack weist nach, dass das Gott-Finden-in-allen-Dingen an sich
ein Gemeingut christlicher Spiritualität ist - vgl. SUDBRACK Josef: „Gott in allen Dingen finden“. Eine
ignatianische Maxime und ihr metahistorischer Hintergrund, in: GuL 65 (1992), 165-186.
2 Hieronymus Natalis: Annotationes in Examen (1557), Nr. 80f [MHSI 90, 162]; vgl. NICOLAU Miguel:
What Nadal Meant by ‚Contemplativus in actione’, in: CIS 8 (1977), Nr. 25, 7-16.
3 Satzungen 288, zit. nach IGNATIUS von Loyola: Gründungstexte der Gesellschaft Jesu, übers. von
Peter Knauer, Würzburg 1998.
4 Brief vom 1. Juni 1551, zit. nach IGNATIUS von Loyola: Briefe und Unterweisungen, übers. von
Peter Knauer, Würzburg 1993, 346—353, hier 350; hier wird auch deutlich, dass das Gott-Finden-inallen-
Dingen keinesfalls einen Ersatz oder gar einen Gegensatz zu regelmäßigem Gebet und zum
Besuch des Gottesdienstes meint; vgl. auch den Brief an Urbano Fernandes (Rom, 1. Juni 1551),
ebd., 341-345, bes. Nr. 6/344.5 IGNATIUS von Loyola: Geistliche Übungen, übers. u. erl. v. Peter Knauer, Graz, 3. Aufl. 1988, Nr.
230-237.
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