Sonntag, 17. März 2013

Leistung und Fruchtbarkeit



Der Herr sendet uns, um Frucht zu bringen, und zwar Frucht, die bleibt. Dazu hat er uns
erwählt und bestimmt (Joh 15,16). Dadurch wird der Vater verherrlicht (Joh 15,8;
Exerzitienbuch 23); so sind wir Jünger Jesu.

Bin ich, was ich leiste?
Fruchtbarkeit spielt in der Schrift eine große Rolle, und Jesus beschreibt das Reich Gottes
immer wieder in Bildern der Fruchtbarkeit. Das Wort Leistung scheint in der Schrift kaum
vorzukommen. Aber vielleicht merken wir das nicht so, weil wir so stark in einer
Leistungsgesellschaft aufgewachsen sind, dass wir alles spontan in Kategorien der Leistung
einordnen. Wir haben ja alle die Parole interiorisiert: "Ich bin, was ich leiste." Alles muss ich
verdienen, auch Anerkennung, Dankbarkeit, Herzlichkeit, Existenzrecht, ja sogar Liebe. In
der Kirche und im Ordensleben ist diese Mentalität ebenfalls sehr stark lebendig. Das haben
wir in unserer Ausbildung gut mitgekriegt: Die viel leisten, das sind die Guten. Wie oft habe
ich betagte Ordensleute sagen hören: "Pater, ich möchte noch gerne ein bisschen dienstbar
sein", und wie oft war das heimlich vermischt mit dem Wunsch: "Ich will noch ein bisschen
mitzählen." Hinter der Klage über die viele Arbeit und die vielen Termine steckt manchmal
auch ein gewisses Aufschneiden – dann merkt der andere wenigstens, wie wichtig ich bin. Für
viele Menschen unserer Zeit ist die Leistung fast der einzige Boden, auf dem sie stehen, ihre
Existenzberechtigung.

Die Bibel spricht eine ganz andere Sprache. Für Gott brauchen wir unser Existenzrecht nicht
zu verdienen. Er schenkt es uns, umsonst. Wir sind seine geliebten Kinder; er hat uns ins
Dasein geliebt. Er liebt uns nicht wegen unserer Leistungen, sondern mit einer
bedingungslosen, unverdienten und unverdienbaren Liebe.
Das schönste Beispiel einer ganz subtilen Leistungshaltung fand ich bei Bernardin
Schellenbergeri (Nacht leuchtet wie der Tag, Herder, 2. Auflage 1982, Seite 12), der berichtet,
wie ein alter Trappistenbruder seinem Abt anvertraut: "Die Welt würde staunen, wenn sie je
erfahren würde, wie viel Holz ich in meinem Leben gespalten habe." Alles im Konjunktiv! Er
hat sich schon damit abgefunden, dass die Welt es nie erfahren wird. Aber doch bleibt ihm der
heimliche Trost, dass sie staunen würde, wenn sie es je erfahren könnte.

Übereinstimmungen und Unterschiede
Es gibt sicher Übereinstimmungen zwischen Leistung und Fruchtbarkeit – beide erfordern
Einsatz, Anstrengung, Sorgfalt ...
Interessanter scheinen mir aber die Unterschiede. Und davon habe ich inzwischen ein
Dutzend gefunden. Die wichtigsten sind:

- Bei der Leistung will der Mensch alle Fäden in der Hand und alles im Griff haben, und
das bringt Stress und Spannung; bei der Fruchtbarkeit bleibt Raum für das Geheimnis, das
wir nicht durchschauen, sondern dem wir uns anvertrauen; das gibt Entspannung und
Zuversicht (vgl. Mk 4, 26-29).

- Fruchtbarkeit geht zusammen mit dem kontemplativen Element in unserem Leben,
während Leistung nicht gut dazu passt. In der Fruchtbarkeit und in der Kontemplation
sucht man nicht seine eigene Ehre und Erfüllung und Bestätigung, sondern man verrichtet
seine Tätigkeit wirklich als Dienst, selbstlos, in Hingabe, zur Ehre Gottes. Hier liegt
wahrscheinlich auch der springende Punkt für das "In-actione" kontemplativ sein, das
tatsächlich mit dem "Omnia ad maiorem Dei gloriam" (Alles zur größeren Ehre Gottes)
zusammenhängt.

- Die Leistung nimmt auf die Dauer ab, wenn man älter wird; die Fruchtbarkeit bleibt und
kann sogar wachsen. Ein großer und wichtiger Trost für unsere (vielen) Betagten! Vgl.
etwa Ps 92, 13-15.

- Fruchtbarkeit geschieht immer in der Weise des Weizenkorns, das in die Erde fällt und
stirbt und nur so Frucht bringen kann (Joh 12,24), in entscheidendem Gegensatz zur
Leistungsmentalität.

- Den Gegensatz zwischen Gesetz und Gnade, der bei Paulus eine so ausgeprägte Rolle
spielt, kann man in unserer Zeit und unserer Sprache übersetzen mit den Worten Leistung
und Fruchtbarkeit. Gesetz ist, was der Mensch selbst zustandebringt. Gesetz ist die
Leistung im geistlichen Leben. Der fruchtbare Mensch demgegenüber lebt aus Gnade und
weiß sehr wohl, dass das Eigentliche ihm geschenkt wird. Nicht die Aktivität rechtfertigt
uns, sondern die Rechtfertigung aktiviert uns.

- Leistung geht oft auf Kosten der Natur (Umwelt, Gesundheit, Familie oder Kommunität,
geistliches Leben). Fruchtbarkeit ist natürlich, entspricht der Natur, ist gesund, zerstört
nicht, sondern entfaltet und krönt. Das Geheimnis der Fruchtbarkeit zeigt sich dort, wo der
Mensch es aufgibt, das Leben zu beherrschen, und das Wagnis eingeht, das Leben sich
entfalten zu lassen.

- Die Fruchtbarkeit im Reich Gottes ist oft nicht messbar und lässt sich manchmal nicht
vorzeigen, während Leistung sehr stark am Messen und Vergleichen orientiert ist. Die
Leistungsgesellschaft ist oft rücksichtslose und ungerecht gegenüber denen, die nicht
genug leisten können. Da wird viel unverdientes Leid zugefügt, in offenkundigem
Gegensatz zum Evangelium.

- Leistung ist oft ein Ausgleich für einen Mangel an Beziehung, während Fruchtbarkeit
immer Beziehung voraussetzt (Pflanzen müssen befruchtet werden, Tiere, Menschen,
geistliches Leben – vgl. Weinstock und Reben). Menschen, die bewusst oder unbewusst
an Einsamkeit oder Isolation leiden, flüchten leicht in Leistung, um auf diese Weise ihrem
Leben doch Inhalt und Sinn zu geben (vgl. Joh 15, 1-8).

- Fruchtbarkeit ist mehr als Effizienz. So lebt in jedem Menschen das Urbedürfnis nach
zweckfreiem Bejahtsein und der tiefe Wunsch, mehr zu sein und zu gelten als das, wozu
er dienlich ist. Wer umgekehrt seinen Selbstwert zu stark aus der Leistung schöpft, kommt
früher oder später in eine schreckliche Krise. Wer von der Leistung lebt, baut auf Sand.

- Jeder Mensch braucht ein gewisses Maß an Anerkennung und Erfolg. Unser himmlischer
Vater weiß, dass wir das brauchen (Mt 6, 32f). Er wird es uns auch besorgen. Wir müssen
es nicht ängstlich suchen! Wir müssen nicht versuchen, uns das selbst zu verdienen. "Euch
muss es zuerst um das Reich Gottes und die Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles
andere dazugegeben." Es tatsächlich von ihm erwarten, auch wenn es einmal eine
Durststrecke gibt, macht evangelische Menschen.

- Die Leistungsmentalität wählt andere Prioritäten und Aktivitäten als der
Fruchtbarkeitsglaube. Welche falschen Akzente setzen wir in unserem Apostolat und
Lebensstil, weil wir zu sehr leistungsorientiert sind?

- Leistung macht einseitig und verdrängt gewisse Werte. Sie baut auf eigene Kraft und
klammert die schwachen Seiten aus. Sie ist leicht zu zielstrebig. Fruchtbarkeit lässt Gottes
Kraft auch in unserer Schwäche zum Zuge kommen und kann darum das Leben ehrlicher
und großzügiger annehmen.
Es gibt Männer und Frauen, die viel leisten, aber wenig Frucht bringen, und umgekehrt.
Für den Aufbau des Reiches Gottes ist es wichtig, sich an Fruchtbarkeit – als Inhalt und
Methode – zu orientieren, und nicht an Leistung.

Piet van Breemen SJ

Erschienen in: entschluss 54 (1999) H.1, 4-5
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