Sonntag, 17. Februar 2013

Ignatianische Meditation


Meditation heute und damals

Das Wort „Meditation“ wird heute in zahlreichen Zusammenhängen verwendet wie etwa
Bibel- oder Bildmeditation, Yoga oder Zen. Inhaltlich wird mit ihm ein Berührt-Sein, eine
Sammlung aus der Zerstreuung, ein Leer-Werden, ein inneres Verstummen, ein Einstellen
allen Denkens ausgedrückt.
Ursprünglich bedeutete „meditari“ aber zunächst schlicht „sich üben“, und dies in einer
großen Bandbreite, in der Handhabung von Waffen bis hin zum Einüben eines Musikstücks.
Von der Alten Kirche bis zum Frühen Mittelalter war Meditation meist gleichbedeutend mit
dem „Wiederkäuen“ (ruminatio), der oftmaligen Wiederholung von Psalmversen oder
anderen biblischen Texten mit halblauter Stimme. Im Mittelalter wächst dann die Bedeutung
des Nachdenkens für die Meditation, wird die Meditation vornehmlich zu einer Aktivität des
Verstandes.1


Nachdenken als Gebet
Was macht nun das Wesen der ignatianischen Meditation aus? Im Allgemeinen bezeichnet bei
Ignatius „Meditation“2 ein Gebet, in dem der Exerzitant/ die Exerzitantin über einen Inhalt
nachdenkt, um sich über etwas klar(er) zu werden. Ziel ist dabei nicht ein bloßer
Wissenserwerb, sondern der Gewinn von (geistiger und geistlicher) Klarheit in einer
existenziellen Frage. „Im Gegensatz zu manchen anderen Weisen geistlicher Übung spielt bei
Ignatius das Moment des Überlegens, Fragens, Antwortens [also] eine bedeutsame Rolle.“3
Blickt man näher auf die einzelnen Gebetszeiten der Geistlichen Übungen, wird jedoch
deutlich, dass sich in Meditationen die Gefühle ansprechende Elemente finden. Umgekehrt ist
die zweite große Gebetsweise des Exerzitienbuches, die Kontemplation, zwar stärker
gefühlsbetont, die Aktivität des Verstandes spielt aber auch in ihr eine Rolle.

Ignatianisch sind Meditation und Kontemplation deshalb nicht strikt voneinander abgrenzbar, nicht ohne
Gemeinsamkeiten – aber die Verwendung des jeweiligen Begriffs weist dennoch auf
Tendenzen der jeweiligen Übung hin.

Zu erwähnen ist noch, dass sich im Exerzitienbuch ein dritter Begriff findet: consideración4
bzw. considerar. Er wird sowohl in Zusammenhang mit Meditationen als auch mit
Kontemplationen gebraucht, steht aber der Meditation näher – inhaltlich ist mit consideracíon
gemeint, einen Inhalt „gut zu bedenken“ und „[innerlich] wohl zu erwägen bzw. abzuwägen“.
Auffallend ist schließlich: Die erste Woche5 hat (kurz gesagt) Umkehr und Sünde zu ihrem
Thema – und alle Übungen dieser Woche werden als Meditationen bezeichnet (danach nur
noch die Besinnung über die zwei Banner und über die drei Arten von Menschen). Fast alle
Übungen der restlichen Wochen, die (wiederum kurz gesagt) Leben, Tod und Auferstehung
Jesu zu ihrem Inhalt haben, sind hingegen Kontemplationen6. Damit wird deutlich: Meditation
und Kontemplation sind eine unterschiedliche Methode des Gebets, haben darüber hinaus
aber auch unterschiedliche Inhalte – WIE und WAS sind verschieden.

Insgesamt ist Ignatianische Meditation als Gebetsweise daher gekennzeichnet einerseits durch
aktives Nachdenken und andererseits durch die Verwendung eines Inhalts, der sich für eine
rational-diskursive Auseinandersetzung eignet bzw. bei dem es wichtig ist, (zunächst einmal)
Klarheit zu gewinnen.

Ergebnis
Was ist nun der Ertrag dieser kleinen „historisch-kritischen Ignatius-Exegese“ für einen
Exerzitienprozess und für das Gebet im Alltag? Meines Erachtens lassen sich dem oben
Gesagten drei Anregungen bzw. Einsichten entnehmen: Zum ersten, dass je nach Inhalt
unterschiedliche Seiten der Seele im Gebet angesprochen werden (sollen) und zum Zug
kommen können und dürfen. Zum zweiten: auch nüchternes Denken kann Gebet sein (unter
der Bedingung, dass dieses Tun auf Gott hin ausgerichtet ist und das Zwiegespräch mit dem
Schöpfer der Seele nicht entfällt). Und zum dritten: je nach Person und Umständen kann es
angeraten sein, die Kräfte des Verstandes vermehrt in das Gebet einzubringen – sei es, dass
dies beispielsweise dem Charakter der Beterin/ des Beters entspricht, oder dass es sich um
eine Sache handelt, die vor und mit Gott zu klären ist.

Thomas Neulinger SJ

Erschienen in geist.voll 1/2005.
1 Vgl. SEVERUS Emmanuel/ SOLIGNAC Aimé/ GOOSSENS Mathias/ SAUVAGE Michel/ SUDBRACK
Josef: Art. Méditation, in: Dictionnaire de Spiritualité 10 (1980) 906943,
bes. 906919.
2 Peter Knauer gibt in seiner weit verbreiteten Übersetzung des Exerzitienbuches meditación
durchgehend mit Besinnung wieder.
3 LAMBERT Willi: Beten im Pulsschlag des Lebens. Gottsuche mit Ignatius von Loyola, Freiburg
1997, 164 – im Abschnitt über „Die Weise der Besinnung („meditación) 162176.
4 Vgl. REPPLINGER Hermann Josef: Das Buch der Geistlichen Übungen. Struktur und Eigenart des
Textes, in: Korrespondenz zur Spiritualität der Exerzitien 27 (1977) Nr. 34, 4156,
hier 46f – Knauer
gibt die beiden Wörter mit „Erwägung“ bzw. „erwägen“ wieder.
5 Die vollständigen Übungen des Exerzitienbuches dauern dreißig Tage und sind in vier Abschnitte mit
der Dauer von ungefähr je einer Woche eingeteilt.6 Eine Ausnahme bildet der letzte Tag der dritten Woche, für den Ignatius u.a. vorschlägt zu erwägen,
„wie der heiligste Leib Christi, unseres Herrn, losgelöst und abgesondert von der Seele blieb… [und]
ebenso die Einsamkeit unserer Herrin“ (EB 208,1011).

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