Sonntag, 24. Februar 2013

Ignatius paradox

oder: Worauf es ankommt

Worauf kommt es an im Reich Gottes? Was könnte die Haltung sein, in der Menschen beim
Aufbau des Reiches Gottes mitmachen sollten? Wie hütet man sich dabei vor den Extremen
eines falschen Gottvertrauen und eines unerleuchteten Übereifers?

Sicher ist, dass wir immer wieder bei Jesus in die Schule gehen müssen, um zu lernen, worauf
es ankommt. Er erteilt seinen Leuten mit Worten und noch mehr durch das Beispiel seines
Lebens und Sterbens die Lektionen, die ihnen so schwer in die Köpfe und in die Herzen
wollen: über den Glauben und das Vertrauen, über das Danken und das Bitten, über das
Dienen und das Verzeihen, über die Freude und das Kreuztragen, über Selbstlosigkeit und
Freiheit, über Gottesund
Nächstenliebe, über Reden und Tun, über Kämpfen und Gewaltlosigkeit,
über Umkehr und missionarischen Geist, über Vorwärtsstürmen und Wartenkönnen,
über Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, über Toleranz und Entschiedenheit, über
Tod und Auferstehung ...

Einer aus den vielen, die die Lektionen Jesu gut gelernt haben, ist der heilige Ignatius von
Loyola. Auf ihn geht ein Wort zurück, an dem sich ein wichtiger Aspekt des Handelns im
Reiche Gottes verdeutlichen lässt. Das Wort gibt es in verschiedenen Varianten.
Gewöhnlich wird das Wort in der griffigeren und selbstverständlicheren Form benutzt, etwa
so: „Handle so, als ob alles von dir, nichts von Gott abhinge. Vertraue so auf Gott, als ob
alles von Gott, nichts von dir abhinge.“ Aus einem solchen Wort lässt sich für das Handeln
im Reiche Gottes sicher Bedeutsames aussagen und vertiefen.
Ich möchte mich dazu aber lieber der anderen Lesart bedienen. Sie kommt mir aufregender
und provokanter vor, sogar ein wenig paradox: „Wir müssen so auf Gott vertrauen, als ob
alles von uns, nichts von Gott abhinge. Wir müssen unsere Kräfte aber so einsetzen, als ob
alles von Gott, nichts von uns abhinge.“
Richtiges Gottvertrauen: sich herausfordern lassen zum Einsatz aller Kräfte

Im ersten Teil des Spruchs „Wir müssen so auf Gott vertrauen, als ob alles von uns, nichts
von Gott abhinge“ verbirgt sich die Frage nach unserem Gottesbild. Wie vertrauen wir? Nicht
wenige Christen halten Gott – vielleicht unbewusst – für eine Art Oberzauberer. Sie trauen
ihm alle möglichen Tricks zu, durch die er mit unseren Problemen und Schwierigkeiten fertig
werden könne, ohne dass wir selbst uns groß in Unkosten stürzen müssten. „Der Papa wird's
schon richten“ mit seinem Reich. Da brauchen wir, die wir sowieso Nichtsnutze sind, doch
keine Hand zu rühren. Wir wären ja doch mit unseren eigenen Versuchen nur Stümper. Womöglich
könnte man eine solche Haltung noch als religiöse Tugend ausgeben, weil sich darin
ein Gottvertrauen zeigen würde, das ihm alles in die Hände legt. Das alles ist fast richtig und
doch haarscharf daneben. Die Hände in den Schoß zu legen ist nicht die Art, in der man Gott
die Ehre gibt.

In der ersten Hälfte des Spruchs ist vielmehr gesagt, dass Gott durch uns wirken will. Er hat
uns ja nicht in eine Unmündigkeit geschaffen. Er schenkt dem menschlichen Geschöpf
Verstand und Freiheit. Diese Gaben sind gegeben, um sie zu gebrauchen. Es ist keine
schlimme, überhebliche Sache, aktiv zu sein. Gott ruft uns in die Verantwortung, wie es im
Gleichnis von den Talenten (Mt 25,1430
par) gesagt ist. Das größte Vertrauen auf Gott hat
der, der sich von ihm herausfordern lässt zum Tun. Die geschenkte Freiheit will umgemünzt
sein in Dienst. Es geht darum, dass uns Gott gebrauchen möchte, im Namen Jesu seine Gedanken
in dieser Welt zum Aufleuchten zu bringen. Taugliche Werkzeuge sollen wir sein zu
seiner größeren Ehre. Unser Engagement soll helfen, ihn zu suchen und zu finden. Das Vertrauen,
das Gott in uns setzt, sollen wir nicht enttäuschen durch Nichtstun.

Das läuft manchen unseren Lieblingsideen zuwider. Zwar sind wir gerne aktiv, aber in
eigenen Diensten. Unser Habenwollen, unser Geltenwollen und unser Obenaufseinwollen
sind mächtige Antriebe. In der Arbeit für das Reich Gottes aber stehen nicht Egoismen,
Angeberei und Ausbeutung auf dem Programm. Gott hat uns vielmehr dazu befreit, Menschen
für andere zu sein. Wir sind gerecht gemacht, um sensibel zu werden gegen Unrecht
und für Gerechtigkeit in der Welt, besonders im Einsatz für die, denen übel mitgespielt wird.
Wir sind eingeladen, Versöhnung zu üben, weil wir selbst, obwohl Sünder, Versöhnung
erfahren dürfen.

So wie es die Versuchung gibt, mit Berufung auf Gott alles ihm zu überlassen, so gibt es auch
in der „Welt“ viele, die uns einreden wollen, alles ihnen zu überlassen. Sie versuchen, uns
beizubringen, dass sie die Profis seien: Der Kirche würde es ja doch an Kompetenz fehlen,
wenn sie sich um die vorletzten Dinge kümmert (die Dinge dieser Welt nämlich, die in den
Augen der Profis die einzig wichtigen sind). Kümmert ihr Christen euch um die Letzten
Dinge, da richtet ihr mit eurer Naivität oder eurem Fanatismus keinen Schaden an. Also zurück
mit euch in die Sakristei oder ins fromme Gebet! Aber von den Geschäften der Welt
lasst gefälligst die Finger.

Auch kirchenintern kann man des „Horizontalismus“ verdächtigt werden. Man unterstellt damit
eine flache Mitmenschlichkeit, eine Beschäftigung mit vermeintlichen Nebensachen wie
sozialer Arbeit (so direkt sagt man es nicht, aber in diese Richtung geht es). Auch von daher
entsteht noch einmal die Tendenz, sich in die Nischen einer folgenlosen Frömmigkeit und
einer spirituellen Bravheit zurückzuziehen. Auf Gott vertrauen heißt, sich senden zu lassen,
heißt, sich vom Geist Gottes antreiben zu lassen, diese Welt zu verändern, wo sie auf ihrer
Gottesverweigerung beharrt. Auf Gott vertrauen heißt, sich einzumischen mit aller Kraft, damit
der Wille Gottes geschehe nicht nur im Himmel, sondern auch auf Erden.
Richtiges Tun: sich herausfordern lassen, Gott alles in die Hände zu legen

Der zweite Teil des Spruches („Wir müssen unsere Kraft aber so einsetzen, als ob alles von
Gott, nichts aber von uns abhinge“) wendet sich gegen die allzuständigen totalen Macher, die
genau zu wissen scheinen, was es mit dem Reich Gottes auf sich hat, und die überzeugt sind,
dass ohne ihre Aktivitäten alles zusammenbrechen müsste.

Bei der Mobilisierung unserer Kräfte geht es aber weder um einen Fortschritt um jeden Preis
noch darum, dass der Mensch sich als letzte Instanz aufspielen müsste. Wenn er sich durch
nichts und niemanden bremsen lässt, kommt es eher zu Horrorszenarien als zum Kommen
des Reiches Gottes. Ein totaler Macher weiß sich über ethische Bedenken erhaben. Rücksicht
auf die Schwachen nimmt er nicht wirklich. Der gute Zweck heiligt dann auch schlechte Mittel.
Wer sich selbst zum Maß aller Dinge macht, verliert jedes Maß und ist bereit, über diejenigen
Gewalt zu bringen, die seine Maßstäbe nicht teilen. Ein leidvolles Kapitel in der Geschichte
auch des Christentums führt zur schrecklichen Erkenntnis, dass Religion und Gewalt
nahe beieinander liegen können, wenn man Gottes Auftrag missversteht, sich die Erde untertan
zu machen oder Menschen zu missionieren. Wer in seinem Tun Gott vergisst – mag er
ihn auch noch so groß im Mund führen (oder auf dem Koppelschloss) –, handelt nicht mündig
oder befreit oder verantwortlich, sondern willkürlich und zerstörerisch.

Worum es geht, ist vielmehr Folgendes: Wir dürfen uns Gott verdankt wissen, der uns in aller
Liebe zuvorgekommen ist. Das kann die Verbissenheit aus unseren Aktionen nehmen. Wir
müssen nicht meinen, dass das Reich Gottes nicht gelingt, wenn wir nicht eigenhändig und
sofort alles reparieren, was schief geht. Wir Menschen brauchen nicht den Kopf zu verlieren
und hysterisch zu werden, wenn wir bei manchen Entwicklungen, die immer bedrängender
werden, nicht mehr weiter wissen. Unsere Antwort auf die Herausforderungen muss nicht in
immer größerer Hektik bestehen.

Wer sich in seinem Sinnen und Trachten von Gott gehalten weiß, braucht nicht verbiestert
umherzulaufen, als ob er ganz persönlich an allem Elend der ganzen Welt schuld sei. Er muss
in seiner Freudlosigkeit auch nicht ein ständiger Vorwurf sein für die anderen, die den Ernst
der Lage noch nicht begriffen haben und deswegen nicht ständig mit Leichenbittermiene herumgehen.
Man soll schon alles tun, aber im Glauben, dass der Herrgott letzte Instanz bleibt
und dass er uns in Treue zugetan bleibt trotz des Unheils, das wir in dieser Welt vorfinden
und an dem wir oft selbst mitwirken. Es braucht uns nichts von dem, was hier los ist, zu Tode
zu ängstigen.

Wer in Gott verankert ist, kann gelassen seinen Dienst tun. Gerade weil die Welt für die
Christen nicht das Letzte und Höchste ist, können sie angemessen ihren Weltdienst leisten in
nüchterner Tapferkeit.
So kann schließlich eine Haltung entstehen und immer mehr wachsen, die engagierten Ernst
und heilige Sorglosigkeit in fruchtbringender Spannung zu kombinieren weiß. Keine schlechte
Mischung, wie mir scheint, damit das Reich Gottes komme.

Vitus Seibel SJ
Aus: entschluss 52 (1997), H.11, 2527.

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