Sonntag, 17. Februar 2013

Ignatianische Kontemplation

Wenn heute von Kontemplation gesprochen wird, wird oft Unterschiedliches damit gemeint:
die Palette der Bedeutungen reicht dabei von beschaulichem Nachdenken und geistigem
Sichversenken über ein Ende jeglichen Denkens, einem Einswerden mit der Unendlichkeit bis hin zur mystischen Gottesschau. Ursprünglich bedeutete Kontemplation1 „Schau,
Betrachtung“ (von lateinisch contemplari, betrachten), in Zusammenhang mit der
griechischen Philosophie dann die intuitive Schau der obersten Wahrheiten2.


In der Alten Kirche wird daraus die von Gott geschenkte, von allen Begriffen und Vorstellungen freie
Anschauung Gottes (etwa bei Evagrios oder Gregor dem Großen).3 Ebenfalls in dieser Zeit
wurde die Lehre von den drei Wegen bzw. Stufen des geistlichen Lebens4 mit den Etappen
der Reinigung, der Erleuchtung und der Vollendung/ Einigung entwickelt – in diesem Schema ist die Kontemplation Merkmal der letzten und höchsten Stufe. Dieses Verständnis von Kontemplation als Emporgehobenwerden, Ergriffenwerden der Seele von Gott, in reiner Passivität, als unverdientes Geschenk, als Ruhe und höchstes Glück ist bis heute weit verbreitet, vor allem in Zusammenhang mit der karmelitanischen Spiritualität (Johannes von Kreuz, Theresa von Avila).

Auf Jesus blicken
Abweichend von diesem Hauptstrom haben franziskanische Spiritualität und Devotio
moderna Betrachtungen des Lebens Jesu als Kontemplation verstanden. Dieser Tradition
folgend5, bezeichnet Ignatius jene Gebetszeiten, die das Leben, Sterben oder die Auferstehung Jesu zu ihrem Inhalt haben, als contemplación6. Diese Gebetszeiten gehören zur Zweiten,Dritten und Vierten Woche der Exerzitien und bestehen jeweils aus:

- dem Vorbereitungsgebet,
- einem Ins-Gedächtnis-Rufen eines Geheimnisses aus dem Leben Jesu,
- dem Einsatz der Vorstellungskraft, um sich das Geschehen bildlich vor Augen zu führen,
- der Bitte um das, was ich will, und dann
- dem Sehen, Hören usw. der Personen, ihrer Worte und Handlungen;
- abgeschlossen wird die Gebetszeit mit einem Zwiegespräch mit Gott und einem
Vaterunser.7

Anders gesagt: In der Kontemplation sieht man die Personen, „hört, was gesagt wird, wird
Zeuge des Geschehens. Die Begegnung oder das Geschehen wird mir auf diese Weise
gegenwärtig – oder ich werde dem Geschehen gegenwärtig –, indem ich die sinnenhaften
Elemente, die der Text bietet, sinnenhaft aufnehme.“8 Die ignatianische Betrachtungsweise,
die auch als ein „Tagträumen mit einem bestimmten Stoff“ (H. Jürgens) verstanden werdenkann, ist im Vergleich zur Kontemplation etwa in der karmelitanischen Spiritualität ein gutes Stück weit aktiver, gekennzeichnet durch den Einsatz von Phantasie und Imagination, mit deren Hilfe eine Evangelienstelle lebendig werden soll. Im Vergleich mit der ignatianischen Meditation ist die Kontemplation jedoch gefühlsbetonter und sowohl durch größere Einfachheit als auch durch eine größere Passivität bzw. Empfangsbereitschaft des Menschen Gott gegenüber charakterisiert.

Ergebnis
Ignatianische Kontemplation ist bestimmt vom Blick auf Jesus. Ignatius geht davon aus, dass die Verbindung mit Jesus immer mehr vertieft wird durch eine intensive betende
Beschäftigung mit dem, was dem Herrn wichtig ist, wofür er eintritt und was er ablehnt – und
dass dies die Beterin/ den Beter verändert: Aus dem innerlichen Miterleben des Tuns und
Einsatzes Jesu wächst der Wunsch, zu ihm zu gehören, mich von ihm rufen und in Dienst
nehmen lassen (bis hin zur Ganzhingabe des Lebens). Damit soll nicht gesagt sein, dass nicht auch ein Gebet aus dem eigenen Leben heraus, meine Bitte und mein Dank für das, was sich bei mir ereignet, eine Form christlichen Gebets ist. Jesus nimmt am Leben jeder einzelnen Person Anteil – in ignatianischer Kontemplation aber steht das Leben Christi im Vordergrund, das Anteilnehmen an seinem Weg und die Prägung durch das Lebensgeschick des Sohnes Gottes.

Thomas Neulinger SJ

Erschienen in geist.voll 2/2005.
1 Vgl. DAFFNER Franz-Reinhard/ SCHWEITZER Kyrilla: Kontemplation – Sich einem Begriff „mit Hof“ annähern, in: Korrespondenz zur Spiritualität der Exerzitien 50 (2000) Nr. 77, 38-48, hier 39.
2 Vgl. MIETH Dietmar: Kontemplation, in: LThK³ 6 (1997) 326f, hier 326.
3 Vgl. WEISMAYER Josef: Leben in Fülle. Zur Geschichte und Theologie christlicher Spiritualität, Innsbruck
1983, 120f; BOUYER Louis: Einführung in die christliche Spiritualität, Mainz 1965, 80f.
4 Vgl. WEISMAYER: Leben in Fülle, 60f.
5 Vgl. ARZUBIALDE Santiago: Ejercicios Espirituales de S. Ignacio. Historia y Análisis, Bilbao 1991, 271f; zur
Kontemplation allgemein vgl. 271-278.
6 Peter Knauer gibt in seiner weit verbreiteten Übersetzung des Exerzitienbuches „contemplación/ contemplar“
durchgehend mit „Betrachtung/ betrachten“ wieder.
7 Vgl. FALKNER Andreas: Schritte des Betens. Die „contemplaciõn“ nach Ignatius von Loyola, in:
Korrespondenz zur Spiritualität der Exerzitien 44 (1994) Nr. 65, 18-25; REPPLINGER Hermann Josef: Das Buch der Geistlichen Übungen. Struktur und Eigenart des Textes, in: Korrespondenz zur Spiritualität der
Exerzitien 27 (1977) Nr. 34, 41-56, hier 47-50.1
8 LEFRANK Alex: Kontemplation in der „Zweiten Woche“ des Exerzitienprozesses bei Ignatius, in:
Korrespondenz zur Spiritualität der Exerzitien 50 (2000) Nr. 77, 49-56, hier 51.2

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