Sonntag, 17. Februar 2013

Mit Zerstreuungen im Gebet umgehen


Wenn wir beten, steigen in den meisten von uns schnell störende Gedanken, Gefühle,
Erinnerungen, Phantasien auf und lenken uns ab. Unsere Aufmerksamkeit ist dann oft mehr
bei ihnen als beim Gebet. Solche Zerstreuungen können sehr angenehm sein oder auch
schmerzlich, ärgerlich, störend. Manche Ablenkungen beschäftigen uns nur kurze Zeit, andere
wieder beanspruchen vielleicht beinahe unsere gesamte Gebetszeit.



Woher kommen die Zerstreuungen?
Mehr oder weniger vorbelastet sind wir in diese Welt gekommen („Erbsünde“). Zudem hat
sich im Laufe unseres Lebens in uns viel – vor allem auch Negatives – angesammelt:
Verletzungen, die oft bis in die frühe Kindheit zurückreichen, Enttäuschungen, eigenes
Versagen, Ängste, ungelöste Konflikte, unerfüllte Wünsche, Sorgen, Müdigkeit, Trauer, Wut,
...: all das ist uns im normalen Leben meist nicht bewusst; weil es schmerzlich und
unangenehm ist, drängen wir es weg und unterdrücken es. Wenn es um uns herum still wird,
merken wir erst, dass uns ein unablässiger Gedankenfluss durchströmt.
 

Was nicht hilft
a) Wenn uns Zerstreuungen kommen, neigen wir dazu, uns mit ihnen zu beschäftigen, das
heißt uns von ihnen ablenken zu lassen und ihnen nachzugehen. Das führt nicht weiter.
 

b) Zerstreuungen, die uns unangenehm sind, uns Angst machen oder unmoralisch erscheinen
(Hass, Zorn, Eifersucht, sexuelle Phantasien usw.) drängen wir – oft ganz automatisch und
unbewusst – weg, wir bekämpfen und unterdrücken sie. Gedanken und Gefühle, gegen die
wir kämpfen, werden dadurch meist noch mächtiger, wir werden wie besessen von ihnen
Das hilft nicht.
 

c) Eine andere Möglichkeit besteht darin, dass wir uns mit den auftauchenden Gedanken und
Gefühlen beschäftigen: Woher sie kommen, warum wir so sind, wie uns ändern könnten.
Wenn wir dem nachgehen, sind wir nicht mehr im Gebet, sondern betreiben Selbstanalyse.
Im Gebet führt das nicht weiter.
 

Worauf es ankommt
Wenn wir uns bei unseren Gedanken und Phantasien aufhalten, kreisen wir in irgendeiner
Weise letztlich immer um unser kleines Ich. Gebet aber ist Hinwendung zu Gott; nicht unser
kleines Ich, sondern Gott steht dabei in der Mitte unserer Aufmerksamkeit,. Unser Tun ist
Gebet, wenn unsere Aufmerksamkeit um Gott kreist – statt um uns selbst.
 

Was hilft
 a) Es ist, wie es ist
„Immer wieder abschweifende Gedanken sind eine lästige Störung, die den Weg eines jeden
ernsthaft Kontemplativen begleitet.“ (A. de Mello) Das ist eben so und braucht uns nicht
weiter zu beunruhigen. Nur Gott kann in Seiner Gnade – wenn und wie Er will – unsere
Aufmerksamkeit auf sich lenken. Mit unserem eigenen Bemühen können wir das nicht
erreichen.
 

b) Was wir tun können
Wir können unsere Aufmerksamkeit mit den Kräften, die wir eben haben, immer wieder auf
Gott hin lenken, immer wieder zu Ihm zurückkehren, und wenn es tausendmal am Tag ist.
Wir brauchen nicht mehr zu geben, als wir haben; allerdings sollten wir wirklich alle Kräfte,
die wir haben, hingeben vergleiche die arme Witwe, die ihre letzten Münzen in den
Opferkasten wirft – LK 21,1-4), unser ganzes Herz (Mk 12,28-30).
 

Die Zerstreuungen kommen immer wieder; wir nehmen sie wahr, lassen sie (freundlich)
stehen und kehren sofort und entscheiden zum Gebet zurück, ohne sie zu bekämpfen und ohne
uns mit ihnen zu befassen. Das ist oft sehr schwer, eine wirkliche Selbstverleugnung. Wir
wissen aber: für Gott ist nichts unmöglich. Er kann uns jederzeit mit Seiner Gnade in Seine
Gegenwart holen und uns dort bleiben lassen. Die Sehnsucht nach Ihm, Seiner Gegenwart und
Seiner Gnade sollten wir in uns vor allem nähren.
 

Michael Meßner SJ
Erschienen in: Jesuiten. Mitteilungen der österreichischen Jesuiten 68 (1995) H.4, 16-17.

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