Damit soll nicht gesagt sein, dass jeder, der Maria durch wahre Andacht gefunden hat, frei sei von Kreuz und Leiden. Keineswegs, er ist von Leiden sogar oft mehr heimgesucht, als irgend ein anderer; denn Maria schenkt, als Mutter der Lebendigen, ihren Kindern Anteil am Baume des Lebens, welcher das Kreuz Jesu Christi ist. Aber indem sie ihnen gute Kreuze zubereitet, verschafft sie ihnen auch die Gnade, sie geduldig und sogar freudig zu tragen. Daher sind die Kreuze, welche sie ihnen gibt, mehr süß als bitter. Wenn sie vielleicht auch eine Zeit lang die Bitterkeit des Kelches fühlen, den man notwendig trinken muss, um ein Freund Gottes zu sein, so ermutigt der Trost und die Freude, welche Maria der Traurigkeit folgen lässt, diese Seelen, bereitwillig noch schwerere und drückendere Kreuze zu tragen.
Die Schwierigkeit unseres Geheimnisses besteht hauptsächlich darin, zu wissen, wie man die allerseligste Jungfrau tatsächlich findet, um mit ihr auch jede Gnade in überreichem Maße zu empfangen. Gott, als unumschränkter Herr, könnte uns zwar aus eigener Kraft alles mitteilen, was er uns jetzt nur durch Maria zukommen lässt. Oft genug tut er es auch selbst, was keineswegs geleugnet werden darf. Nach der Ordnung jedoch, welche die göttliche Weisheit festgesetzt hat, teilt er seine Gnaden gewöhnlich nur durch Maria mit, wie der hl. Thomas sagt. Man muss eben, um zu ihm emporzusteigen und sich mit ihm zu vereinigen, dasselbe Mittel gebrauchen, dessen er sich bediente, um zu uns herabzusteigen, Mensch zu werden und uns seine Gnade mitzuteilen; und dieses Mittel ist die allerseligste Jungfrau Maria.
Hl. Ludwig Maria Grignion von Montfort (1673-1716)
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