Die Situation, in die hinein Paulus schreibt, ist durch folgende Faktoren gekennzeichnet:
Paulus hatte in Galatien in seiner Frühzeit selbst eine Heidenmission ohne Beschneidung durchgeführt. D.h. die Heiden, die Paulus für das Evangelium gewonnen hat, blieben auch Heiden. In der Zwischenzeit waren aber andere christliche Missionare in Galatien eingedrungen, die unter Berufung auf Jesus, auf Paulus selbst und die Gemeinde in Jerusalem auch von den Heidenchristen Beschneidung forderten, und zwar nachträglich, als Zusatz zu ihrem Getauftsein durch Paulus.
Paulus sieht in dieser Absicht den Nerv seines Evangeliums getroffen. Denn eine über den Glauben an Jesus Christus hinausgehende Zulassungsbedingung zu Christus konnte er nicht akzeptieren.
Die Gegner des Paulus in Galatien sind wohl Judenchristen, die sich eine Zugehörigkeit zum Gott Israels und Jesus Christus gar nicht anders vorstellen können, als wenn Menschen sich beschneiden lassen.
In seinem Gedankengang klärt Paulus zunächst seine Legimation, die es ihm überhaupt erlaubt, ein Evangelium für die Heiden zu verkündigen. Zu diesem Zweck entfaltet er in einem einzigartigen autobiographischen Stück seine eigene Position innerhalb der Landschaft der frühchristlichen Gemeinden.
Die Kapitel 2,15-5,12 entfalten die Argumente des Paulus. Sich nach Empfang der (Geist-)Taufe nachträglich beschneiden zu lassen, würde darauf hinauslaufen, alle bisher empfangenen Gaben des Christentums, alle Geistesgaben und Freiheit, aufzugeben zugunsten eines Rückfalls in Anschauungen, die heidnischem Götzendienst nicht ferne stehen.
Am Schluss liefert Paulus eine Mahnrede für die Gemeinde in Galatien. Es geht hier um eine Art Torah für die Heiden. Die Heiden brauchen Normen, die aber nicht mit dem Rückfall unter die Beschneidung und das Ritualgesetz identisch sind. Paulus gelingt es auf dieser Gratwanderung, die Grundlinien einer christlichen Ethik zu formulieren, die ihre Mitte in der Liebe hat und doch auf alle Wege der gesetzlichen Annäherung an Gott verzichten kann, weil Jesus Christus diese Annäherung ein für alle mal geleistet hat.
Diese Ethik ist wesentlich durch den heiligen Geist bestimmt. Weil dieser Liebe Gottes zu den Menschen im menschlichen Herz ist, kann er sich auch leicht als Liebe auswirken.
In seiner Wirkungsgeschichte war der Galaterbrief vor allem für Augustinus und die Reformation (M.Luther) bedeutsam. Dazu trugen nicht wenig die scharfen Formulierungen in Gegensätzen bei. Es ist jedoch zu beachten, dass Paulus keine Abschaffung oder Auflösung des Gesetzes will, sondern lediglich eine Befreiung von der ständigen Verurteilung durch das Gesetz als kritischen Maßstab. Dokument des Willens Gottes bleibt das Gesetz auch nach dem Galaterbrief.
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