Dienstag, 26. Juni 2012

Vom Schweigen und Nicht-Schweigen 1

" Zur Gottsuche gehört das Schweigen wie da Atmen zum Leben.

Eine der großen Prophetengestalten des Alten Testamentes steht wie keine andere für den Typ, das Urbild des schweigenden Gottsuchers: Elija aus Tischbe in Gilead im Bergland östlich des Jordans....

Die Höhle auf dem Gottesberg Horeb, in die er sich, endlich angekommen, zurückzieht, um die Nächte zu überstehen, ist Schutzraum, ein bergender Schoß, ein halbwegs sicherer Ort vor den Bedrängnissen der inneren und der äußeren Wüste. Und JHWH beginnt ein Gespräch. Doch Elija hadert. Wie mit dem Rücken zur Wand sitzt er in der Höhle und klagt und jammert, vielleicht resigniert, uneins mit sich selbst, vielleicht erfüllt vom Schmerz des gekränkten Stolzes und der angekratzten Eitelkeit. Die Reaktion Gottes verblüfft. Keine Rechtfertigung, kein Schlag ins Gesicht, keine zornige Drohrede, nur die Forderung: Komm heraus und stell dich! Stell dich dem Herrn!

Und der Herr zieht an der Höhle vorüber. Und im Schweigen des nächtlichen Horebgipfels erhebt sich ein starker, heftiger Sturm. Er zerreißt die Berge und zerbricht die Felsen, er zerreißt die Überheblichkeit menschlicher Allmachtsphantasien und die das Herz zu Stein verhärtende Leistungsmentalität. Doch der Herr ist nicht in diesem Sturm.

Und er ist nicht in diesem Erdbeben, das die Fundamente des Weltbildes und Selbstbildes zerrütten und zerstören kann und manchmal zerstören muss, und er ist nicht im Feuer, das die Gottesvorstellung reinigt und die Bilder, die aus jedem Trümmerstück neu entstehen und wie die Schlangen auf den Gorgonenhäuptern im Geist des Menschen züngeln und ihn verwirren können.

Nach Sturm, Erdbeben und Feuer kommt ein leises, ein sanftes Säuseln, kommt die "Stimme verschwebenden Schweigens", wie es der große jüdische Religionsphilosoph Martin Buber formulierte.
Und Elija verhüllt sein Gesicht, kommt aus dem Schutzbereich der bergenden Höhle heraus und stellt sich dem Herrn."


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