Beginn der Bekehrung
12. Über diesen entscheidenden Augenblick ihres Lebens haben wir verschiedene Zeugnisse, auch autobiographische. Wir beginnen mit Klara selbst. Sie selber gibt uns in der Tat Nachricht über ihre Bekehrung und die der ersten Schwestern.
Der Gekreuzigte von San Damiano hatte, als er zum jungen Franziskus sprach, die Ankunft von Frauen angekündigt, die die Kirche und das Kloster bewohnen würden, das Franziskus gerade renovierte. Eben diese Prophezeiung berichtet uns Klara in ihrem Testament sehr ausführlich.
Es gibt keinen Zweifel darüber, daß Klara sehr gut verstanden hatte - wie sie es sehr deutlich im Testament ausdrückt -, was ihre Berufung und die ihrer Schwestern sein würde. Eine Berufung zur Gemeinschaft (fraternita), um gemeinsam mit anderen Schwestern zu leben; in der Kirche und für sie "Beispiel und Spiegel" des Herrn und seiner Mutter zu sein, und so seine Kirche wieder herzustellen (rinnovare).
Diese Gabe kommt vom Vater der Barmherzigkeit, dem Spender jedes Guten, durch seinen Diener, den seligen Franziskus, dem treuen Nachahmer des Sohnes, der bereits seit Beginn "unser Weg ist": "Ich mahne aber inständig im Herrn Jesus Christus alle meine Schwestern, die gegenwärtigen und die kommenden, sich immer zu bemühen, den Weg heiliger Einfalt, Demut und Armut nachzugehen, wie auch einen ehrbaren und heiligen Wandel zu führen; so nämlich wurden wir seit dem Anfang unserer Bekehrung zu Christus von unserem seligen Vater Franziskus belehrt" (Testament Klara, 56 f).
13. Um tiefer die menschliche Persönlichkeit Klaras und der Schwestern im Augenblick ihrer Bekehrung zu verstehen, ist es wichtig, die Intensität ihrer Liebe für den Herrn zu unterstreichen und so ihre Freude in den Drangsalen zu verstehen, die sie während ihrer Bekehrungszeit erleiden mußten, die, menschlich gesprochen, sicher eine Qual war. Einige Ausdrücke, die Klara im Hinblick auf Franziskus verwendet, bestätigen dies. Klara gebrauchte im Testament oft die Worte "selig" und "sehr selig". Das Wort "Liebhaber", intensiver als "liebend" und "Freund", bezeichnet eine Person, die mit Eifer und ausdauernder Glut liebt: Klara nennt Franziskus "Liebhaber und Nachahmer". Für Klara ist Franziskus also schon im Augenblick der Bekehrung verliebt in den Herrn und daher sein Nachahmer. Gipfel der Freude im Heiligen Geist ist, daß er das Kommen der Frauen nach San Damiano voraussagt. Das gleiche Wort "Liebhaber" verwendet Klara in ihrem dritten Brief an Agnes in einem bräutlichen Zusammenhang, der gut erklärt, wie Franziskus, Agnes, Klara und die ersten Schwestern im Augenblick ihrer Bekehrung inmitten zahlreicher persönlicher und familiärer Schwierigkeiten die Welt und ihre blinden "Liebhaber" verlassen wollten. Sie spricht von Bräuten, Liebenden im Heiligen Geist.
Klara schreibt, daß der Herr seit Beginn der Bekehrung diejenigen, die ihn lieben, mit verborgener Süßigkeit überschüttet, um ihnen zu helfen, die Hindernisse zu Überwinden, die die Berufenen manchmal an den Rand der Verzweiflung bringen können. Franziskus selber hatte die Erfahrung mit den Aussätzigen gemacht, bevor er die Freude erfuhr, im Wort des Gekreuzigten von San Damiano das Kommen Klaras und der Schwestern voraussehen zu können.
14. Als Klara an Agnes schrieb, wußte sie um deren große Versuchungen, die sie bei ihrer Bekehrung Überwinden mußte und spricht von ihnen als von "Nebel und niederdrückender Bitterkeit" (3. Brief an Agnes, II). Klara ermutigt Agnes, wobei sie auf die Jungfrau Maria verweist, die Braut und Mutter des Sohnes Gottes, die aus der Vereinigung mit dem göttlichen Bräutigam, in der sie umgewandelt wurde, tiefe Freude erfuhr: "... damit Du selbst empfindest, was seine Freunde empfinden durch das Verkosten der verborgenen Süßigkeit, die Gott selbst von Anbeginn für seine Liebhaber aufbewahrt hat (der lateinische Text schreibt nicht "Liebende", sondern "Liebhaber"). Dabei übergehe alles, was in dieser trügerischen, beunruhigenden Welt ihre blinden Liebhaber verstrickt. Liebe jenen mit ganzer Hingabe, der sich um Deiner Liebe willen gänzlich hingegeben hat, dessen Schönheit Sonne und Mond bewundern, dessen Belohnungen in ihrer Köstlichkeit und Größe ohne Ende sind. Ihn meine ich, den Sohn des Allerhöchsten, den die Jungfrau gebar und nach dessen Geburt sie Jungfrau blieb. Seiner liebsten Mutter hange fest an, die einen solchen Sohn geboren hat, den die Himmel nicht zu fassen vermögen; und dennoch hat sie ihn in dem Kämmerlein - "Kloster" - ihres heiligen Mutterleibes gebildet und in ihrem Schoß getragen" (3. Brief an Agnes, 14-19).
Diese gleiche Atmosphäre der Liebe zum Herrn und der Freude in den Drangsalen findet sich im VI. Kapitel der Regel Klaras, auch dieses autobiographisch. Dort spricht sie vom Beginn der Bekehrung der Schwestern. Weiter unten sprechen wir ausführlicher über dieses Kapitel.
15. Hier wollen wir eine literarische Quelle von romantisch-hagiographischem Charakter zitieren, welche in der Atmosphäre des Troubadours beheimatet ist. Franziskus und Klara werden in ihrem Jugendalter zu Assisi dargestellt. Es handelt sich um die sogenannte Klaralegende.
Franziskus ist 29- 30 Jahre alt, Klara 18 Jahre: "Als Klara den damals schonbekannten Namen Franziskus hörte, der wie ein neuer Mensch den in der Welt vergessenen Weg der Vollkommenheit mit neuen Tugenden wiederbelebte, sehnte sie sich, ihn alsbald zu hören und zu sehen. Dazu riet ihr der Vater der Geister, dessen Erstlingsgabe beide, wenn auch auf verschiedene Weise, empfangen hatten. Nicht minder wünschte Franziskus, da auch zu ihm der gute Ruf des so reich begnadeten Mädchens gedrungen war , sie zu treffen und mit ihr zu reden, um, wenn irgendwie möglich, eine solch edle Beute der argen Welt abzujagen und sie seinem Herrn zu übergeben; war er doch ganz beutegierig gekommen, um das Reich der Welt zu entvölkern. Er besuchte sie, und sie besuchte öfters ihn. Die Häufigkeit ihrer Besuche richteten sie so ein, daß jene göttliche Beschäftigung weder von Menschen wahrgenommen, noch durch öffentliches Gerede beanstandet werden konnte.
Nur eine einzige vertraute Gefährtin begleitete das Mädchen, wenn es aus dem väterlichen Hause fortging, um mit dem Manne Gottes heimlich zusammenzukommen, dessen Worte ihr flammend und dessen Taten ihr übermenschlich erschienen. Vater Franziskus ermahnte sie zur Verachtung der Welt, indem er ihr mit brennender Rede bewies, wie unfruchtbar die Hoffnung auf die Welt sei und wie trügerisch ihr Schein. Er sprach begeisternd davon, wie beseligend die Vermählung mit Christus sei, und überzeugte sie davon, die Perle jungfräulicher Keuschheit jenem herrlichen Bräutigam, den die Liebe Mensch werden ließ, zu bewahren" (Legende Klara, 5).
Ein anderes Zeugnis bestätigt die moralische Kraft, eine wahre geistliche Faszination, die Franziskus auf Klara ausübte. Sie selber, Klara, als "Beispiel und Spiegel", gibt uns das Zeugnis am Ende ihres Lebens, nach 28jähriger Krankheit, jetzt frei von Beeinflussung: "Seitdem ich die Gnade meines Herrn Jesus Christus durch seinen Diener Franziskus erkannt habe, ist mir keine Pein zu beschwerlich, keine Buße zu schwer, keine Krankheit zu hart ..." (Legende Klara,44).
16. Klara hat Eile, zu dieser göttlichen Hochzeit zu gelangen, und sie entscheidet sich bald, da sie seit langem das Verlangen hat, sich dem Herrn zu vermählen (Legende Klara, 6) Der Geist der Erzählung entspricht wirklich gut dem Herz von Klara und Franz, beide sind ja erfahren in der Minne-Mystik, die jetzt überall aufkommt. Die Antwort auf ihre Botschaft läßt nicht auf sich warten:
"Das Unerhörte solcher Vorgänge drang weit und breit in die Welt hinaus und begann überall Seelen für Christus zu gewinnen. Obwohl Klara weiterhin in Klausur lebte, begann sie dennoch der ganzen Welt zu erstrahlen und erglänzte herrlich in Anerkennung und Lob durch alle. Der Ruf ihrer Tugenden erfüllte die Zimmer vornehmer Frauen, erreichte die Paläste von Herzoginnen, ja drang sogar hinein bis in die innersten Gemächer der Königinnen. Der höchste Adel beugte sich herab, ihren Fußspuren nachzugehen, und sie, ein Sprößling stolzen Blutes, verleugnete sich in ihrer Demut. Einige Herzoginnen und Königinnen, zur Ehe berufen, taten strenge Buße, ermuntert durch die öffentliche Anerkennung Klaras, und die, welche Herrscher geheiratet hatten, ahmten Klara gemäß ihren Möglichkeiten nach. Städte schmücken sich mit zahllosen Klöstern, auch das Land und die Gebirgsgegenden ziert die Entstehung solcher himmlischen Bauten.
Vielfach wird in der Welt die Keuschheit bewahrt: die heilige Klara geht voran, sie erweist die Zeitgemäßheit der Jungfräulichkeit, ruft sie gleichsam zu neuern Leben. Klara ließ diese herrlichen Blumen aufblühen, durch die sie selbst erquickt werden will: 'Stärkt mich mit Blumen, erquickt mich mit Äpfeln; denn ich bin krank vor Liebe'." (Legende Klara, 11).
Wenn wir noch nach dem Wie und Warum der Neuheit Klaras fragen, können wir sagen, daß in ihr Gnade und Natur eine wunderbare Einheit geschaffen haben: die Gnade setzt die Natur voraus, ja, vervollkommnet sie. Schließlich ist durch die ausgeprägte Eigenheit der Persönlichkeit Klaras im Zusammenhang ihrer Zeit etwas Neues gegeben. Vor allem das, was wir ihre "heilige Bekehrung" nennen wollen, stellt eine Botschaft dar: ihre Bekehrung dauert bis zu ihrem Tod.
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