Auf dem Weg in die Zukunft mit Unterscheidungsvermögen
57. Alle Klöster haben die Aufgabe, bei Berufungen verständig und mutig zu unterscheiden. Gaben, Fehler und Grenzen jeder Kandidatin werden aufmerksam gewertet; Grenzen und Fehler stehen unter der wachsamen und mütterlichen Kontrolle der Ausbilderinnen, damit sie nicht die Entwicklung und Reifung der Gaben hindern. Die Unterscheidung ist eine noch strengere Aufgabe für Klöster, denen Berufungen fehlen; die Angst um das Überleben macht oft die Prüfung der Bitten um Aufnahme in den Orden gefährlich oberflächlich. Die Zusammenarbeit der Klöster untereinander und vor allem die von der Kirche dringend angebotene Möglichkeit, Mitglied der Föderation zu werden, wird die nicht leichte Aufgabe der Unterscheidung der Berufungen erleichtern, weil dabei Personen und Mittel zur Verfügung stehen, die den Menschen und Problemen unserer Zeit angemessen sind.
Was die Treue zu Klara heute angeht, müssen wir noch konkrete Vorschläge für die Ausbildung anfügen, die gemäß Zeit, Ort und Region inkulturiert werden müssen, und zwar von den Verantwortlichen der Aus- und Weiterbildung. Da wir aber sowohl Paternalismus von der einen als auch Maternalismus von der anderen Seite vermeiden wollen, die unserer Zeit fremd sind, laden wir brüderlich jede Schwester, jedes Kloster und jede Föderation ein, immer besser das Leben nach dem Evangelium Gestalt annehmen zu lassen, im Geist der Zusammenarbeit, unter der Inspiration des Herrn und seiner und unserer Mutter, überall in der Kirche und in der Welt, allen zu Füßen, in der Nachfolge unseres Herrn Jesus Christus wie Maria der Jungfrau, zur Kirche gemacht.
58. Es sei uns gestattet, unter den wesentlichen evangelisch-franziskanisch-klarissianischen Werten lediglich die folgenden in Erinnerung zu bringen, die uns für die Ausbildung, Inspiration und Erneuerung in unserer Zeit besonders wichtig scheinen:
- die tiefe Gemeinschaft mit der Person Christi selbst in ihrem ganzen Ostermysterium, verankert im erlösenden Kreuz;
- eine gelebte Erfahrung in der bräutlichen und hochzeitlichen Liebe Marias, genährt von einem liturgisch-eucharistischen Leben und einem Geist persönlichen, kontemplativen Gebetes, das im armen, demütigen und stillen Umfeld des Klosters sorgsam gepflegt wird;
- die herzliche und zärtliche Übung der mehr schwesterlichen als mütterlichen, also "marianischen" Liebe (amore), in der Einheit der gegenseitigen Liebe (carità), dem Band der Vollkommenheit, vor allem gegenüber den Schwestern, die hilfsbedürftiger sind;
- das "Fühlen mit der Kirche", im klaren Bewußtsein, daß man wie Maria im Herzen der Kirche selbst lebt. Die aufrichtige Annahme der Anregungen der Erneuerung, die das Lehramt uns häufig gibt, ist konkretes Zeichen des Willens, den Weg mit der Kirche gehen zu wollen. Dieses besonders in Bezug auf die missionarische Aufgabe der Kirche, die ständig neue Horizonte eröffnet für die Verbreitung des kontemplativen Lebens in der Welt. Die "Richtlinien" der Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und die Gemeinschaften des apostolischen Lebens für die Ausbildung in den Ordensinstituten und die Ausbildungsordnungen, die von diesem Dokument gefordert werden, welche die Föderationen oder einzelne Klöster erstellen sollen, bestätigen und lassen jenen Sinn für die Kirche erstarken, der in der heiligen Mutter Klara so lebendig war (5);
- die vorrangige Entscheidung für die Armen, von der Mutter Kirche selbst angesehen als ein Zeichen der Zeit und allen "Ordensleuten besonders empfohlen" (6);
- die Liebe zu "unserer Mutter Erde", der heute vom Menschen so sehr Gewalt angetan wird, die aber unsere Schwester und Herrin Klara so sehr verehrte: "... wenn diese heiligste Mutter die Schwestern aussandte, um von außerhalb des Klosters Nahrung zu beschaffen, ermahnte sie sie, sie sollen Gott loben, wenn sie schöne, blühende und dichtbelaubte Bäume sähen; und in ähnlicher Weise, wenn sie die Menschen und andere Geschöpfe sähen, sollten sie stets für alle und in allen Dingen Gott loben" (Heiligsprechungsprozeß XIV, 9);
- schließlich müssen wir immer entschiedener das Geheimnis unseres Lebens nach dem Evangelium entdecken, indem wir gleichsam die Herausforderung jenes deutlichen symbolischen Wortes "Knechte - Mägde" annehmen: als Mägde und Knechte sollen wir, allen untertan, mit Maria, der Magd des Herrn, dem Knecht Jahwes nachfolgen, der als Herr und Meister beim letzten Abendmahl die Füße wäscht (vgl. Joh 13, 13f). Diese Geste und dieses Geheimnis - das Klara so wirksam aktualisiert, indem sie den Schwestern die Füße wäscht- macht uns allen wieder neu das Einigende unserer Berufung bewußt, die Berufung als "Minder" - Brüder, als "Arme" Schwestern, als "büßende" Gläubige im Dienst der gesamten wiederversöhnten Schöpfung. Eine tiefe und vielgestaltige Bruderliebe, die offen ist für das universale Lob:
"Lobet und preiset den Herrn
Und erweiset ihm Dank
Und dient ihm in großer Demut"
(Sonnengesang, 14).
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