6. Jesus nimmt von Veronika das Schweißtuch
+
Adoramus te, Christe, et benedicimus tibi -
quia per sanctam crucem tuam redemisti mundum.
"Mein Herz denkt an dein Wort: Sucht mein Angesicht!
Dein Angesicht, Herr, will ich suchen.
Verbirg nicht dein Gesicht vor mir" (Ps 27,8). 
Denn  Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in  unseren Herzen aufgeleuchtet, damit wir erleuchtet werden zur Erkenntnis  des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi. Der Blick auf dieses  verklärte Antlitz Christi ist ein Blick auf die Herrlichkeit Gottes –  Gott von Gott, Licht vom Licht. Wie anders erscheint dagegen das Antlitz  Jesu Christi auf dem Kreuzweg: O Haupt voll Blut und Wunden, voll  Schmerz und voller Hohn. O Haupt, zum Spott gebunden, mit einer  Dornenkron.
Der  Fürst des Friedens, der König, der erst vor einigen Tagen auf einem  Esel in Jerusalem eingezogen ist, wird nun die Straßen der Stadt entlang  getrieben, hin zur Schädelhöhe. Die Menschen, die ihm zuvor mit  Palmzweigen entgegenzogen, verhöhnen ihn nun, speien ihn an.
"Er  hatte keine schöne und edle Gestalt, so daß wir ihn anschauen mochten.  Er sah nicht so aus, daß wir Gefallen fanden an ihm. Er wurde verachtet  und von den Menschen gemieden, ein Mann voller Schmerzen, mit Krankheit  vertraut. Wie einer, vor dem man das Gesicht verhüllt, war er verachtet;  wir schätzten ihn nicht" (Jes. 53, 2-3).
Am  Rande dieses Weges hinauf nach Golgota, inmitten dieser Menge, gibt es  immer wieder Menschen, die Jesus beistehen: seine Mutter, Simon von  Cyrene, Veronika, die Jesus das Schweißtuch reicht, die weinenden  Frauen, der reuige Schächer am Kreuz, und vielleicht auch jener  Hauptmann, der ausrief: "Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen".
Veronika  reicht Jesus das Schweißtuch, in das dieser sein Antlitz drückt – ein  Mann der Schmerzen, mit Krankheit vertraut. Der Blick auf dieses Antlitz  Christi vereinigt uns mit seinen Sorgen, seiner Liebe, seiner  Einsamkeit und seiner Verlassenheit.
Die  heilige Veronika hat von dieser Begegnung mit Christus und dem Abbild  seines Antlitzes ihren Namen: Vera (e)ikon – wahres Abbild. In den Augen  der Menschen war der Dienst, den sie einem verurteilten Verbrecher  geleistet hat, gering, obwohl er schon als solcher Mut erforderte. Selma  Lagerlöf hat in ihren Christuslegenden über diese Begebenheit eine  wunderschöne Geschichte geschrieben – wie Faustina, die später in der  Taufe Veronika genannt wird, dem von Lepra und ausschweifender Lebensart  zerstörten Kaiser Tiberius das Tuch bringt, in das der Erlöser sein  Antlitz gedrückt hatte. "Ich und alle andern, wir sind wilde Tiere und  Ungeheuer, aber du bist der Mensch!" ruft Tiberius beim Anblick dieses  Gesichtes aus und ist im selben Moment geheilt.
Eine  unbekannte Frau aus der Menge reicht Jesus ihr Tuch, mit dem er Blut,  Schweiß und Tränen abtupft und in all seiner Qual ein wenig Linderung  erfährt. Dieses schlichte Zeichen des Beistands rührt uns an – durch  alle Zeiten hindurch. Wie gern hätte Veronika vielleicht mehr getan, um  seine Not zu lindern, und doch war es genug, genug für beide. Veronika  hat von dieser Begegnung nicht nur das Abbild des Antlitzes des Erlösers  auf ihrem Schweißtuch zurückbehalten, sondern auch auf ihrem Herzen.  Die Begegnung mit dem Erlöser hatte die Kraft, ihr Leben auf immer zu  verändern. Das Königreich, in dem dieser König herrscht, ist nicht durch  Gewalt zu gewinnen, sondern durch das Erbarmen.
Blickt  auf zu ihm, so wird euer Gesicht leuchten und ihr braucht nicht zu  erröten, heißt es im 34. Psalm. "Von deinem lieben Sohne kommt all das  Leuchten dein", singen wir in einem Marienlied. – Das Licht, der  göttliche Glanz, der vom Antlitz Christi ausgeht, fällt auch auf unser  Gesicht, erleuchtet uns und verleiht uns etwas von seiner Schönheit und  wahrer Menschlichkeit. Das Antlitz Christi prägt sich noch immer in das  Tuch ein, das wir selbst denen entgegenhalten können, die leiden, arm,  hungrig oder durstig an Seele oder Leib sind, die nackt sind, Fremde,  oder im Gefängnis sitzen: Was ihr einem meiner geringsten Brüder getan  habt, das habt ihr mir getan.
Herr Jesus Christus -
dein Antlitz will ich suchen, wenn ich dir folge auf deinem Weg. 
Ich bitte dich: erleuchte mich mit dem göttlichen Glanz deines Angesichts. 
Bilde mein Angesicht nach deinem, mein Herz nach deinem Herzen. 
Präge das Abbild deines Antlitzes meinem Herzen und meiner Seele ein, 
bis ich dereinst kommen darf, die Herrlichkeit deines göttlichen Angesichts zu schauen. 

Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen