Donnerstag, 15. März 2012

Klara von Assisi, die neue Frau


Die Lebensform


28. Ein grundsätzlicher Schlüssel zum Verständnis des Vorhabens Klaras ist unzweifelhaft die Lebensform, von Franziskus schon von Anfang an erhalten (1212-1213), die Klara mindestens in ihrem Wesenskern im Kapitel VI der endgültigen Regel von 1253 bewahrt.
Klara berichtet, wie Franziskus ihr und den ersten Gefährtinnen die Lebensform gab, gleich nach ihrer Bekehrung, und wie sie und die Schwestern ihm Gehorsam versprachen. Als nämlich Franziskus mit großer Freude sah, wie Klara und die Schwestern so glücklich waren inmitten so vieler Schwierigkeilen, so der Welt entfremdet, arm und der Arbeit hingegeben, wie seine Brüder selbst, wollte er für sie eine Lebensform schreiben.
Im Unterschied zu Franziskus gebraucht Klara nie das Wort "Regel"; sie zieht es vor, "Lebensform" oder "zu leben" (dies gebraucht sie einundzwanzigmal) zu sagen.
Der Inhalt dieser Lebensform ist vollständig "marianisch", in trinitarischer Dimension. Die Form ist für die Töchter und Mägde des Vaters bestimmt, Bräute des Heiligen Geistes, die den Weg der evangelischen Vollkommenheit gewählt haben, d.h. die Nachfolge des Herrn und seiner Mutter, wie es ausdrücklich im "Letzten Willen" gesagt wird, hier textlich eingefügt: "Da ihr euch auf göttliche Eingebung hin zu Töchtern und Dienerinnen des höchsten und größten Königs, des himmlischen Vaters, gemacht und euch dem Heiligen Geist vermählt habt, indem ihr das Leben nach der Vollkommenheit des heiligen Evangeliums erwähltet ...". Wegen dieser Wahl verpflichtet sich Franziskus, für Klara und die Schwestern die gleiche Sorge zu tragen wie für seine Brüder: " ... so will und verspreche ich für mich und meine Brüder, für euch genauso wie für diese immer liebevoll Sorge und besondere Aufmerksamkeit zu hegen" (Regel Klara, IV, 3-4).
Es ist das gleiche trinitarisch-marianische Leben, das Franziskus in dieser gleichen Periode (1212-1215) mit dem "Brief an alle Gläubigen" allen Büßern der Welt anrät. Gerade hier wird gesagt, daß "jede gläubige Seele" (Brief an die Gläubigen I, 1-19), indem sie das Wort Gottes aufnimmt, persönlich am gotteskindlichen, bräutlichen, brüderlichen und mütterlichen Leben Marias im Geist des Herrn teilhat. Alle wahren Büßer oder Gläubigen, insofern sie das Wort Gottes "tun", werden tatsächlich - nach Lk 8, 19-21 - vom Geist des Herrn zu Söhnen des Vaters gemacht, zu Anverlobten des Heiligen Geistes, Brüdern und Müttern unseres Herrn Jesus Christus. Und dies ist eben das dreifaltige Leben Marias. Der Text erinnert auch an die Antiphon des Passionsoffiziums, in dem fast die gleichen Worte wiederkehren, die sich natürlich auf die selige Jungfrau beziehen, "der Tochter und Magd des höchsten Königs, des himmlischen Vaters, Mutter unseres Heiligsten Herrn Jesus Christus, der Braut des Heiligen Geistes ...".
Kann man von einer vollständigen Neuheit sprechen? Die Zeit des Mittelalters war überreich an Erörterungen über das evangelisch-apostolische Leben, dargeboten in vielen verschiedenen Tönen und nicht immer orthodox. Aber die Neuigkeit war, daß zwei "neue" Personen, wie Klara und Franziskus, "erneuert im Geist", es verstanden, dieses evangelische Ideal über die gewöhnlichen feudalen Klassen von Klerikern und Mönchen hinausdringen zu lassen, d.h. mitten in das Volk hinein.

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